Das Stadtgericht

Das Gerichtswesen war im alten Bern streng hierarchisch geregelt: Das hohe Gericht, das heisst die

Blutgerichtsbarkeit, oblag der bernischen Obrigkeit, für die mittlere Gerichtsbarkeit, dieb und frevel war der Landvogt zuständig, Während Stadt- und Landgericht die sogenannte Polizeigerichtsbarkeit ausübten. Diese beinhaltete kleine und mittlere Frevel und die sogenannt freiwillige Gerichtsbarkeit. Das heisst die Erstellung von Kaufverträgen, Pachtabkommen und ähnlichen Verträgen. Dem Nidauer Stadtgericht gehörten 12 Geschworene an. Es tagte allwöchentlich unter dem Vorsitz des Landvogts oder dessen Stellvertreter, dem Venner oder dem Burgermeister, die als judex (Richter) auftraten. Meist nahmen nicht alle Assessoren an den Verhandlungen teil, im Schnitt waren deren sieben bis zehn anwesend. Das Protokoll wurde vom Stadtschreiber geführt. als dessen Stellvertreter amtete der Weibel. Das Stadtgericht hatte nebst dem Abschliessen von Verträgen vor allem Geldstreitigkeiten, Zins-  und andere Schulden zu beurteilen.

Artikel 7 des Freiheitsbriefs von 1548 legte die Kompetenzen des Stadtgerichts fest: Es konnte für

jene Freveltaten, die innerhalb des Stadtgerichtszwangs begangen wurden, Bussen oder Gefängnisstrafen aussprechen. Dem Stadtgerichtszwang unterstand der Bezirk der von beiden Burgeren-Zihl umkreist wird. Ausgenommen davon waren das Schloss und die Strasse, von der Gerberen Brügg bey der Scheuren an, bis zu End der Fallbrück, also der direkt der Obrigkeit unterstellte Schlossbezirk. Dem Stadtgerichtszwang unterstellt waren hingegen auch die

beiden jenseits des Sees gelegenen Ortschaften Tüscherz und Alfermée.

Für einen Frevel hatten die Schuldigen der Stadt zehn Schilling, dem Landvogt ein Pfund zu bezahlen;

Städter wurden zusätzlich für einen Tag und eine Nacht aus der Stadt ausgewiesen, Auswärtige wurden gleich lange in der Stadt zurückbehalten. Wer seine Busse nicht bezahlte, konnte festgenommen werden. Zahlreiche Urteile lauteten denn auch auf «I4 Tag Zihl» oder «ein Monat Zihl» - eine Redewendung, die wohl daher kam, dass das Gefängnis am Ufer der Zihl lag.

Die Bussen. die vom Stadtgericht eingezogen wurden, waren eine wichtige Einnahmequelle für die

Stadt Nidau, obwohl der Landvogt zwei Drittel der im Stadtbezirk eingezogenen Bussengelder abschöpfte. Gelegentlich kam es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Landvogt und Stadt in Sachen

Gerichtsbarkeit. So zum Beispiel unter der Amtsführung des Landvogts Johann Frisching, 1630 bis

1636. Die Nidauer beklagten sich bei der Obrigkeit, der Vogt reisse die Beurteilung von Freveltaten, die der städtischen Gerichtsbarkeit unterliegen würden, an sich, um die Bussen selber einkassieren zu können.

Ein anderer Fall, bei dem die Nidauer Bürger gegen ihren Landvogt bei der Obrigkeit vorstellig wurden, ereignete sich 1773: Damals verurteilte das Stadtgericht die Witwe Sollberger. Sie hatte den Ratsherrn und Polizeirichter Georg Rönner beschimpft, weil dieser ihrem siebenjährigen Sohn eine Ohrfeige verpasst hatte. Mit dem Verhängen einer Busse hätte sich die Stadt selber geschadet, da die Frau armengenössig war; deshalb erhielt Frau Sollberger eine Gefängnisstrafe von zwei Stunden aufgebrummt sowohl zu ihrer meritierten Bestrafung, als zum Exempel der leider zu dergleichen Vergehung nur allzu geneigten Bürgerschaft. Der Landvogt Fischer nahm die Frau in Schutz und wollte das Urteil aufheben; Bern entschied aber, der Nidauer Schuldspruch sei gerechtfertigt, zur Satisfaktion des Ratsherrn Rönner solle die Sollbergerin für zwei Stunden eingesperrt werden.