Über Ortsnamen im Amt Erlach
Paul Zinsli*
Prof. Dr. phil., Brunnadernstrasse 3, 3006 Bern. Die vereinfachte phonetische Zeichengebung stützt sich auf das heute gebräuchliche Alphabet, wie es im Sprachatlas der deutschen Schweiz, Einführungsband B, S. 79-95 erläutert ist. Zeichen und Abkürzungen: * unbelegte, nur wissenschaftlich erschlossene Form - † nicht mehr lebender, nur urkundlich belegter Name - dt. deutsch - frz. französisch – gall. gallisch - lat. lateinisch »mdl. mundartlich -rom. romanisch - urkdl. urkundlich.
Die reiche Natur- und Kulturlandschaft des heutigen Amtsbezirks Erlach zwischen Bieler- und Neuenburgersee, zwischen Zihl- und Hauptkanal des Grossen Mooses mit den sanften Waldhöhen des Jolimonts und Schaltenrains und den anliegenden, zum grossen Teil ehmaligem Sumpfland abgewonnenen Ackerbauflächen, besitzt ihren Reiz nicht nur in der Vielfalt der Erdgebilde mit ihren wechselvollen Wirtschaftsformen und den so mannigfaltigen Ausblicken. Auch der geheimnisvolle Klang vieler Orts- und Flurnamen, die mit dieser kleinen Welt unlöslich verbunden sind, gehört zum einmalig Eigenartigen der Gegend. Durch sie erhält die stumme Natur gleichsam die Stimme des Menschen, die aus tiefer Vergangenheit in unsere Gegenwart hereinhallt. Nicht nur die zahlreichen
Bodenfunde verraten, dass das westliche Berner Seeland, mit dem einst noch trockenfruchtbaren Gebiet des Grossen Mooses seit grauer Frühe besiedelt war, auch die Namen als unmittelbarste Zeugnisse humaner Kultur künden vom damaligen Dasein der Menschen und vermögen, soweit wir sie noch zu erhellen vermögen, zu berichten von innerer Auffassungsweise wie von äussern wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen längst vergangener Zeiten.
Allzu oft müssen freilich diese Namengebilde für uns Heutige dunkel und unauflösbar bleiben, und es können vielleicht nur Deutungsmöglichkeiten beigebracht werden, ja es müssen heute abwegige Erklärungen allzu kurzschlüssiger Namendeuter wieder abgewiesen und neue gesucht werden. Aber gerade dies Rätselvolle macht die Landschaft für den Namen- und Sprachkundler anziehend. «ln sprachwissenschaftlicher Beziehung sind nur wenige Gebiete der Schweiz so interessant wie das bernische Seeland››, gesteht ein Bearbeiter der Toponymie (Gesamtheit der Ortsnamen in einer bestimmten Region) am Nordufer des Bielersee‘s, muss aber «Namen unbestimmter Herkunft» ein ganzes Kapitel einräumen? Die Schwierigkeit für die Erhellung der hier bodenverwachsenen Namen liegt nicht nur darin, dass manche tief ins Dunkel der Vorzeit hinabreichen und im Laufe der Jahrtausende und Jahrhunderte durch den Gebrauch im Munde von Generationen wie anderswo auch verschlissen wurden. Es kommt für unsere Gegend noch dazu, dass die Bewohner ihre Sprache mehrfach gewechselt haben. Von den kelto-gallischen Vorsiedlern, denen wir wohl die meisten derfrühsten Namenspuren zuschreiben müssen, sind sie den romanisch-frankoprovenzalischen Nachfahren vererbt worden und über diese, zusammen mit neuem, romanisch geprägtem Namengut, erst spät in den alemannisch-deutschen Mund gekommen. Es muss hier im alten Sprachgrenzland besonders lange ein Zustand der Zweisprachigkeit geherrscht haben, in der die mannigfaltigsten Berührungen, Angleichungen und wohl auch Übersetzungen möglich wurden, so dass schliesslich das Namenerbe durch solche einmalige, labile Mischungen immer undurchsichtiger wurde, doch damit gerade auch seinen eigenen landschaftsgebundenen Charakter gewann. Verfügten wir über urkundliche Belege aus der Zeit vor der Jahrtausendwende, so würde es zweifellos leichter, Sinn, Entstehung und Wandel dieser kleinen Namenwelt zu erfassen. Aber die uns fast nur aus dem Hoch- und Spätmittelalter, zahlreich erst in den Urbaren der Reformationszeit überlieferten Formen stimmen bereits weitgehend mit den heute gebräuchlichen überein und vermitteln meist wenig unmittelbaren Aufschluss. Erschwerend dürfte auch ins Gewicht fallen, dass wir sowohl mit deutschsprachigen wie welschen Schreibern lateinischer Urkunden rechnen müssen. Wenn auch der Weg zum ursprünglichen Sinn gerade der rätselhaftesten Benennungen von Siedlungen und Fluren verschlossen bleiben muss, so ist es meistens doch möglich, die Gebilde noch verschiedenen Sprachschichten zuzuweisen und so das geschichtliche Dunkel des menschlichen Daseins in unserer Landschaft von dieser Seite her ein wenig zu erhellen.lm allgemeinen gehören die Namen besiedelter Orte - von Städten, Dörfern und Weilern - zusammen mit der überlieferten Benennung von Gewässern zu den ältesten Prägungen. Ehmals gab es 14 selbständige Gemeinden im Erlachamt (Abb. 22). Versucht man, ihre Namen nach zeitlichen Entstehungsstufen aufzuteilen, so wird man 13 davon noch in die vordeutsche Frühe hinabrücken müssen, und nur einer, nämlich Finsterhennen, kann als späte Prägung in deutscher Lautung erkannt werden. Dies spricht dafür, dass das ganze Gebiet schon in der Zeit vor und unter der römischen Herrschaft, die 58 v. Chr, durch den Sieg Cäsars über die Helvetier eingeleitet wurde, besiedelt war, wohl auch, dass die alte Bevölkerung hier zäh an ihrer Sprache festhielt und jedenfalls noch kontinuierlich in die lateinisch-romanische Zeit hinüberlebte. Welchem besonderen vordeutschen und vorromanischen Sprachvolkstum diese seltsamen und teilweise verdunkelten Gebilde angehören, ist nicht einmal immer mit zureichender Sicherheit zu bestimmen: