VON ALTEN EINRICHTUNGEN UND BRÄUCHEN
Bis zum Übergang von 1798 standen der Stadt der zwölfköpfige Rat und ein «zu Burgeren» genannter Ausschuß vor. Zwei Mitglieder des Rates lösten sich alle 2 Jahre im Schultheißenarnt ab. Die Zusammensetzung der Burgeren schwankte offenbar zwischen 6 und 18 Mitgliedern. Der Burgermeister gehörte «Rät» und «Burgeren» zugleich an; er verwaltete den Stadtsäckel. Die Zahl von 24 Räten in der Handfeste und im Urbar von 1485 ist nicht leicht aufzulösen, doch liegt sicher eine Sechsereinteilung zugrunde. Die Gliederung in Rat und Burgeren reicht weit zurück; 1383 ist von <<burgenses, sindici, consules et communitas›› die Rede, 1385 heißt es: «Burgermeister ze Erlach in botschaft wise des rates, der burgeren und der gemeinde». Der Schultheiß führte im Stadtgericht den Vorsitz und war auch in Blutsachen zuständig, Der Gerichtsplatz lag «in der stat vor sant Imets kapellen» (1363) oder «vor der Schul» (1537, 1546), also im Raume zwischen Rathaus und Altstadt Nr. 22.
Der Galgen stand links an der Straße nach Gals, rund 250 m westlich des Schleiffi-Gutes, derjenige des Landgerichtes Ins nordöstlich von St, Jodel. Das städtische Gemeinwesen brauchte zahlreiche weitere Ämter: Stadtschreiber, Weibel (Stab von 1627 im Bernischen Historischen Museum), Ausrufer, Stadtbote für auswärtige Gänge, Rathausammann oder Stubenknecht ( bis um 1700 wurde auf dem Rathaus gewirtet), Korn- und Salzausmesser, zwei und später vier Nachtwächter; um 1600 gab es ferner 3 Fleischschätzer und Marktgschauer, 3 «gemeine›› Schätzer, 3 Waisenvögte, 4 Feuer- und 3 Zaungschauer, 2 Holzherren, 2 Bannwarte, je 2 Bauherren vom Rat und von Burgeren, je 2 Brunnenmeister für jeden der fünf Brunnen, Vieh- und Schweinehirte, später außerdem einen Feldmauser. Drei Wasch- und Ofenhäuser, die Schal (Schlachtlokal) im Erdgeschoß des Rathauses und die Badstube im Loch wurden städtisch betrieben.
Bei aller Selbstverständlichkeit der landwirtschaftlichen Grundlage zeichnete sich die Stadt durch eine Reihe von Befugnissen und Rechten vor dem Dorfe aus: die Burger waren von Schloßfuhrungen und -tagewerken befreit, was um 1520 die Regelung veranlaßte, daß neue Burger nur noch mit Berns Erlaubnis angenommen werden durften; Burger und Vorstadtbewohner brauchten die kirchliche Naturalabgabe der Primiz nicht zu entrichten; auf die freien Güter in der Grafschaft legte die Stadt eine bescheidene Steuer; dem Stadtschreiber war gestattet, auch für die Leute aus der Grafschaft als Notar zu wirken; die Stadt ordnete den Herbstbann selbst, ohne Beisein des Landvogtes. Ins, als Dorf schon im ausgehenden Mittelalter größer denn Erlach, suchte es in manchen Dingen der Stadt gleichzutun. Auch kleinere Rechtsame wußte sie zu wahren: 1513 und 1656 beharrt Erlach darauf, daß der Kirchherr die Glockenseile bezahle wie von altersher, eine Verpflichtung, die auf ein Pfrundwegrecht zurückging.
Das bunte Gewebe all dieser Einzelrechte und Verbriefungen war von der Moderne schon überholt, als die Gemeinde noch 1859 unter Beilage der alten Handfeste und einiger Bestätigungsbriefe ein Gesuch an die kantonale Finanzdirektion richtete, die dahingefallenen Zollrechte zu entschädigen; zwei ausführliche Gutachten lauteten begreiflicherweise auf Ablehnung. In der untergegangenen Zeit hatte die Stadt durchaus Raum für eigene Handlungsfreiheit über die Grafschaftsgrenzen hinaus besessen. Zwischen Erlach und Nidau bestand seit dem 14. Jahrhundert Zollfreiheit auf Gegenseitigkeit. Für Streitfälle unter Bürgern von Erlach und Neuenstadt sorgte 1348 ein Vertrag vor, der 1578 und 1633 als förmliches Burgrecht erneuert wurde. Erlach, Biel, Ligerz, Neuenstadt und Le Landeron, verschiedenen Oberherren unterstellt, schufen 1470 eine gemeinsame Fischereiordnung. Die vor allem in der Grafschaft gängige Erlacher Münzprägung wird im 14. Jahrhundert häufig,
im 15. Jahrhundert nur noch selten erwähnt und ist wahrscheinlich schon in vorbernischer Zeit verschwunden. Das Erlacher Maß dagegen (60 Erlachmaß = 100 Liter) hielt sich offiziell bis 1838. Die Regierung drängte auf die Einführung der neuen Einheiten, doch wird ihr am 6. Oktober 1838 geantwortet, kurz vor der Weinlese sei jetzt die Umbezeichnung aller Geschirre und Zuber nicht mehr möglich. Maßkrüge von 1645, 1666 und 1811 befinden sich im Besitz der Gemeinde und des Bernischen Historischen Museums. Von einem eigenen Gewichtsmaß vernehmen wir nur in der Handfeste.
Das Stadtwappen taucht erstmals mit einem dreieckigen Siegel von 1348 auf, sodann mit dem 1456 belegten, bis in die Neuzeit verwendeten runden Siegelstempel. Der steinerne Schild am Rathaus und die Holztafel beim Schloßschulhaus geben die richtige Form des offiziellen Gemeindewappens wieder: in Rot eine ausgerissene Erle mit goldenem Stamm und grüner Krone, vom Wappenschild aus gesehen rechts ein liegender goldener Halbmond, links ein goldener Stern. Im 17./ 18. Jahrhundert setzte man Sonne und zunehmenden Mond (auf zwei Brunnentrögen, Maßkrügen, im unteren Schloßhof und beim Eingang zum oberen Hof, in der Kirche). Die Erle im Wappen will den Ortsnamen volkstümlich erklären.
Für «vier arme Mönschen» stiftete Klaus Jucker 1455 den Spital, ein Verpflegungs- und Altersheim, das bald in der ganzen Grafschaft über bedeutende Güter verfügte. Nach dem Spitalgebäude, dem jetzigen Gemeindehaus, hieß die Amthausgasse früher Spitalgasse. Westlich an der Straße nach Vinelz stand bei der «Schweinbaadi>› das 1531 erstmals genannte, 1761 abgebrochene Siechenhaus, rund 250 Meter von der Großen Büri entfernt. An diesem ursprünglich für Leprakranke, Aussätzige bestimmten Absonderungsspital waren Tschugg, Mullen, Vinelz und Lüscherz mitbeteiligt. Die Siechenmagd unterstand dem Siechenvogt, die Spitalmagd dem Spitalmeister, Spital- wie Siechengut wurden im 19. Jahrhundert zusammengefaßt und als Armengut neu geordnet.
Während des Dreißigjährigen Krieges kam es in Erlach zur Gründung von zwei Zünften: die Rebleuten 1621, die Fischeren 1622. Ihre ursprüngliche Hauptbestimmung war die Unterstützung von Familien, deren Väter im Felde standen, von Witwen, Waisen, Brandgeschädigten und allerlei öffentlichen Zwecken. Stubenmeister hüteten die «Gesellschaftströglein», welche die geäufneten Wertschriften und das Silbergeschirr enthielten.
Die geselligen Zusammenkünfte flauten schon um 1800 ab, bis unglückliche Verkettungen um 1841/58 den Untergang beider Zünfte besiegelten. Die 1851 errichtete Witwen- und Waisenstiftung zu Rebleuten hingegen entwickelte sich rasch und gut. Sie setzt heute die Zunftbräuche würdig fort, zusammen mit der Berggemeinde: jedes Jahr am Paulitag (25.Januar), dem Gründungstag der Rebleuten, versammeln sich die Mitglieder beider Korporationen. Traktanden, Trunk und Imbiß im Rathaus werden zu einem von weither besuchten Burgerfest.
Die Berggemeinde verfügt über das Kapital der ehemaligen Erlacher Alp am Chasseralhang oberhalb von St-Imier, wo man auf der modernen Landeskarre die «Cerlière» vermerkt findet. Zu Stadt und Land erfuhren die Schützengesellschaften im 16. Jahrhundert starke Förderung. Die Erlacher Schützen haben sich zwischen 1539 und 1549 konstituiert, ihre ersten Statuten datieren von 1558. Das 1738 gegründete, als Korporation noch fortbestehende Musikkollegium nahm sich vor der 1779 erfolgten Anschaffung einer Orgel des Kirchengesangs an. Das Fastnachtsfeuer, dessen Platz man links an der oberenJolimontstraßenkurve zeigt, ist nach 1891 der Sitte des 1.-Augustfeuers gewichen. Lesesonntage, Fastnacht und die jährlichen Höhepunkte des Vereinslebens überhaupt zeigen heute, daß verhältnismäßig junge Bräuche rasch zu neuen Traditionen werden können.