Vom alten zum neuen Biel
Die Entwicklung vom alten zum neuen Biel, von der mittelalterlichen Landstadt mittlerer Größe zur heutigen Industriestadt, hat sich in der für eine derartige Umgestaltung kurzen Zeitspanne eines Jahrhunderts vollzogen. Die politisch-strategischen Erwägungen, die bei der Stadtgründung für die Wahl der Lage der Stadt bestimmend waren, erwiesen sich in der Folge für die wirtschaftliche Entwicklung wenig günstig. An der äußersten Grenze des Bistums Basel gelegen, wurden ihre Märkte von denjenigen der benachbarten bernischen Landstädte Nidau, Aarberg und Büren konkurrenziert, so daß das einheimische Handwerk mit einem Absatzgebiet fürlieb nehmen mußte, das recht eng begrenzt war.
Nicht besser war es mit dem Handel bestellt, da die Stadt abseits der großen Handelsstraßen lag. Der gegenseitige Verkehr zwischen der Ost- und Westschweiz führte über Aarberg, und der zeitweise recht rege Verkehr auf dem Wasser ging von Solothurn über Büren erst die Aare und dann die Zihl hinauf bis zum Flußhafen von Nidau, wo die Waren von den Flußnachen auf die Seebarken umgeladen Wurden, um anschließend durch den Bieler- und Neuenburgersee bis nach Yverdon befördert zu werden, In diesen Tatsachen ist der Grund zu suchen, warum sich in Biel kein eigentlicher Kaufmannsstand entwickeln konnte und warum die Stadt bis in die Neuzeit hinein nie über den engen Rahmen einer abgelegenen Landstadt hinauswachsen konnte. Freilich waren die Produkte der Bieler Weißgerber weit herum bekannt und wurden von den Wyttenbach im 15. und 16. Jahrhundert an den Messen von Zurzach und Lyon verkauft, während die Tschiffeli und nach ihnen die Chemilleret mit dem Eisen Handel trieben, das sie aus den fürstbischöflichen Hochöfen bezogen. Aber es handelte sich dabei doch nur um bescheidene Unternehmungen gleich wie bei der Handelssocietät Charles, welche Textilien bis nach Jamaica lieferte, aber schon 1760 infolge der Konkurrenz wieder einging. Der Weinhandel, der seit der Zugehörigkeit der Stadt zum Kanton Bern bis kurz nach der letzten Jahrhundertmitte einige Bedeutung erlangt hatte, erlebte ein rasches Ende, als 1859/60 die Eisenbahnlinie nach Neuenburg dem Betrieb übergeben wurde und nun die Weinproduzenten in die Lage versetzt wurden, den Wein selbst zu verfrachten und damit den Zwischenhandel auszuschalten.
Das Wirtschaftsleben im alten Biel war durch den Rebbau, die Landwirtschaft und Handwerk und Gewerbe bestimmt. Jede Familie besaß ihr größeres oder kleineres Stück Rebberg. Die Reben befanden sich in sonniger Lage über der Stadt am Berghang und bis ins 18.]ahrhundert auch in der Champagne, der Ebene zwischen Biel und Bözingen, wo sie allmählich dem Acker- und Getreidebau weichen mußten. Der Typus des Bürgerhauses, wie es sich in der Altstadt noch unverändert erhalten hat, kam deshalb ohne geräumigen Keller nicht aus, und zwischen den oberen Stockwerken, welche der Familie als Wohnung dienten, befand sich in einem Zwischenstock die Werkstatt. Die landwirtschaftlichen Oekonomiegebäude waren schon früher auf behördliche Veranlassung hin aus dem Weichbild der Stadt in jenen Stadtteil verlegt worden, der sich südlich an die Schüß anschloß und durch die Kloster- und Hintergasse mit der Neuenstadtgasse verbunden war.
Infolge des bereits erwähnten relativ kleinen Absatzgebietes waren die Handwerker zur Bestreitung ihrer Existenz auch auf den Rebbau und die Landwirtschaft angewiesen. Immerhin vermochten sich einige Handwerker durch ihre berufliche Geschicklichkeit auch auswärts bekannt zu machen, was aus der Tatsache gefolgert werden kann, daß sie auch von den benachbarten Ständen Bern, Solothurn, Freiburg, Zürich oder Neuenburg mit Aufträgen beehrt wurden. Heben wir nur einige Namen hervor, die während mehrerer Generationen ihrem Handwerk treu blieben, so wären zu nennen die Glasmalerfamilien Wildermut, Herold und Laubscher, der Goldschmied Peter Strobel, der aus Gmünd kam und sich 1557 in Biel einbürgerte, aus dem 18. Jahrhundert sein Berufsgenosse Abraham Moll, der Verfertiger des prächtigen Bechers der Metzgernzunft in Bern, der nach der Zeichnung Aberlis auch den großen Becher der dortigen Pfisternzunft ausführte. Abraham Moll, der sich eine wertvolle Sammlung alter Goldschmiedearbeiten und zeichnerischer Entwürfe zusammengetragen hatte, wurde 1782 vom Herzog von Württemberg zum Direktor der Gold- und Silberwarenfabrik in Ludwigsburg ernannt, während es der aus Thun nach Biel zugezogene Goldschmied Hans Heinrich Schärer 1658 zum bernischen Münzmeister gebracht hatte. Mehrere Goldschmiede Biels bestanden ihre Lehrzeit in Basel, so Urs Hugi, der 1575 bei Diebold Merian seine Lehrzeit antrat, während gleichzeitig Peter Wyttenbach bei Bartholomäus Merian arbeitete. Johann Neider zog 1608 nach Basel zu Peterhans Segesser, und Heinrich Rother erlernte die Goldschmiedekunst bei Sebastian (I.) Fechter, während Abraham Breitner 1714 in Adam Fechter seinen Lehrmeister fand.
Unter den Zinngießern, deren Erzeugnisse noch heute in schweizerischen Museen vertreten sind, nennen wir den 1615 aus Schaffhausen zugezogenen Alexander Bäschlin, den Ersteller der 3 reichverzierten und wappengeschmückten großen Abendmahlskannen von Ligerz. Das Geschlecht der Witz, das 1678 mit dem Kannengießer David Witz aus Vinelz ins Bürgerrecht aufgenommen wurde, stellte der Stadt in verschiedenen Zweigen und 3 Generationen namhafte Zinngießer. Aus ihrer Werkstatt ging die typische Bieler Zinnkanne hervor, die sich durch ihre Schlankheit und den hohen Zinngehalt auszeichnet und in ihrer Form einen Übergang von der steglosen Berner- zur Neuenburgerkanne darstellt. Die Außenseite ihres Henkels weist ein zierliches Ornament von traubenbesetzten Rebenranken auf. Mit den aus dem piemontesischen Gazeno 1828 zugewanderten Brüdern Pastore findet das Handwerk der Zinngießer in der Mitte des vorigen Jahrhunderts seinen Abschluß.
Die ersten Anzeichen industrieller Betätigung gehen bereits ins 18. Jahrhundert zurück. Allerdings war schon im Jahre 1634 die alte Lochmühle am Ausgang des Taubenlochs in Bözingen in eine Drahtmühle umgebaut worden, doch waren die Anfänge recht bescheiden und sollten erst später die engen Grenzen eines Gewerbes überschreiten, um sich zum wirklichen industriellen Unternehmen auszuwachsen. Initiative Bieler legten 1747 den Grund zu einer Zeugdruckerei (Indiennefabrikation), die nach mehrmaligem Besitzerwechsel 1784 an die Familien Verdan, Neuhaus und Huber überging und sich erst unter deren aufopferungsvollen Leitung richtig entfalten und zur wirtschaftlichen Selbständigkeit emporarbeiten konnte.
Die Uhrenindustrie, die heute der Stadt und ihrer Umgebung das markante Gepräge verleiht, verzeichnete bereits im 18. Jahrhundert ihr erstes Auftreten, indem die Goldschmiede dazu übergingen, Goldschalen herzustellen. Daneben finden wir schon in den ersten Jahrzehnten jenes Jahrhunderts einheimische Uhrmacher wie die Dachselhofer, Köhli und Breitner, die sich der Erstellung von Uhren widmeten, ohne daß sich allerdings ihre Produktion zahlenmäßig mit derjenigen im neuenburgischen Jura oder in Genf messen konnte. Schon früh war Biel das Ziel der Uhrmacher, hatte doch schon P. Jacquet-Droz, der Erbauer der berühmten Automaten, seinen Wohnsitz nach Biel verlegt, wo er 1790 starb, und wohin ihm sein talentierter Schüler und Nachfolger Jakob Frézard von Villeret gefolgt war. Frézard, der erst in Turin und dann in Genf gearbeitet hatte, bevor er sich in Biel niederließ, ist bekannt als der Ersteller kunstreich gearbeiteter Uhren und automatischer Spieldosen, die als bestaunte Wunderwerke bis nach China exportiert wurden. Der erste Uhrmacher, der in Biel mit der Mechanisierung der Herstellung der Uhr begann, war Simon Peter Houriet, der das heutige Haus Obergasse Nr. 13 besaß und darin, wie auch in den benachbarten Häusern neben seinen eigenen Familienmitgliedern eine größere Zahl Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigte. Bald nach der Jahrhundertwende gab Houriet seine erfolgversprechenden Bemühungen um die Mechanisierung des Produktionsprozesses auf und verließ die Stadt; denn die Epoche der Zugehörigkeit Biels zu Frankreich zeichnete sich mit vereinzelten Ausnahmen durch einen geschäftlichen Niedergang aus, dem auch die ersten Anfänge der Uhrenindustrie zum Opfer fallen sollten.
Erst als kurz vor der letzten Jahrhundertmitte der aus Hessen stammende politische Flüchtling Ernst Schüler, der am alten, 1837 aufgehobenen Gymnasium unterrichtet hatte, im Jahre 1842 zur Fabrikation von Wanduhren überging, um von 1844 an ausschließlich Taschenuhren herzustellen, vermochte die Uhrenindustrie bleibend Boden zu fassen. Die Gemeindebehörden begünstigten die Niederlassung jurassischer Uhrmacherfamilien durch Befreiung vom Hintersäßengeld und Einräumung weiterer Privilegien, was zur Folge hatte, daß die Bevölkerungszahl rasch zunahm, um allerdings in Krisenzeiten, denen diese Industrie immer unterworfen bleiben wird, zu stagnieren oder sogar durch vorübergehende Abwanderung abzunehmen.
Der gastlichen Aufnahme, welche die fortschrittlich gesinnten Bieler den politischen Flüchtlingen bereiteten, Polen, Deutschen und Italienern, ist auch die Einführung der Tabakindustrie zu verdanken, die sich zu einem Erwerbszweig entwickelte, der während vieler Jahrzehnte im lokalen Wirtschaftsleben von Bedeutung war. Der Begründer der Tabakindustrie war der Deutsche Johann Philipp Becker, der 1843 die Zigarrenfabrikation einführte, infolge seiner Beteiligung am badischen Aufstand Biel verließ, um sich später von Genf aus in vermehrtem Maße der Politik zu widmen. Die Einführung der Uhren- und der Tabakindustrie bewährte die Stadt vor einer eigentlichen wirtschaftlichen Katastrophe, hatte doch 1842 die Indiennefabrik, die in guten Jahren ohne die Heimarbeitskräfte zu zählen an die 500 Personen beschäftigte, infolge der ungünstigen Lage des Weltmarktes ihren Betrieb auf immer einstellen müssen. Nun bestand nur noch die 1825 auf der Gurzelen gegründete Baumwollspinnerei mit den angegliederten kleineren Nebenbetrieben, doch mußte auch dieses Unternehmen infolge der Auslandskonkurrenz 1879 seine Pforten schließen. Auch hier mußte die verdienstlos gewordene Arbeiterschaft sich umschulen, um in der mächtig sich entfaltenden Uhrenindustrie ihr weiteres Fortkommen zu finden. Die große Fabrikanlage der Baumwollspinnerei wurde von den Gebrüdern Brandt erworben, welche sie zu einer Uhrenfabrik umbauten und darin mit der Erstellung der weltberühmten Omega-Uhr begannen.