In Meienried wird die Schule aufgehoben

In der Mitte des letzten Jahrhunderts zählte Meienried ungefähr zwei Dutzend Schulkinder, was zu dieser Zeit sehr wenig war, als Klassen mit über hundert Schülern durchaus noch verantwortbar erschienen. Die Frage war nur, mit welcher Nachbarschule man Meienried vereinigen könnte. Der zur Stellungnahme aufgeforderte Statthalter Kohler in Büren a. A., vertrat am 18.August 1832 folgende Ansicht:


«Ihre Zuschrift vom 30. vorigen Monats muss ich Ihnen dahin beantworten, dass es nicht wohl möglich wäre, die Schule von Meienried mit einer andern zu vereinigen, indem die nächsten Schulen Büren, Safnern, Orpund und Scheuren wenigstens eine halbe Stunde entfernt sind und weil die Kinder zu den ersten 3 Schulen immer übers Wasser müssten und zu der vierten wohl gar keinen zugänglichen Weg hätten, so dass ich für das Beste halten müsste, diese Schule wi bis dahin für sich bestehen zu lassen.»


Wenn wir nun schon so weit in die Vergangenheit zurückgedrungen sind, mag es den Heimatfreund interessieren, noch weiter zu gehen, bis wir Vernehmen, seit wann in Meienried eine eigene Schule bestehen könnte. Grad so ganz sicher kann man das heute nicht mehr bestimmen, denn Akten wurden meist nur angelegt und aufbewahrt, wenn es sich um Geldfragen handelte, wie z. B. beim Bau eines neuen Schulhauses. So findet sich denn in den Schulakten des Staatsarchives eine Subventionszusicherung vom 5. Mai 1809, wonach die Regierung «eine Steuer an den Schulhausbau, den die Gemeinde Meienried übernimmt, und der auf 850 Franken zu stehen kommen soll,» mit Fr. 200.- bewilligt, «unter dem Beding, dass dieses Schulhaus eine anständige Wohnung für den Schulmeister enthalte und dass die Schulstube geräumig genug und nach der ihr durch den Kirchenrat zu gehenden Anweisung erbaut und eingerichtet werde>›. Kirche und Schule unterstanden zur selben Zeit eben noch der gleichen Direktion. Die Schule war eine Kirchenschule.

Aus spätem Akten geht hervor, dass das Schulhaus des Jahres 1809 wirklich das erste war. Vorher könnte man aber sehr wohl in irgend einer leeren Bauernstube unterrichtet haben, abgesehen davon, dass sicher oft längere Zeit überhaupt niemand da war, welcher den Kindern regelmässigen Unterricht erteilt hätte. Da die kleine, abgelegene Gemeinde nur einen äusserst bescheidenen Schulmeisterlohn zahlen konnte, gab es selten ein Gedränge, wenn die Schule zur Neubesetzung

ausgeschrieben war, und was sich an Interessenten meldete, gehörte meist zur letzten Garnitur. Dieses Bild änderte sich wenig oder überhaupt nicht im Lauf der Jahrzehnte, was Wunder, wenn sich im Dörfli jederzeit Familienväter fanden, welche die Schulzeit als unbeliebige Unterbrechung «gescheiterer Arbeit» taxierten.


Das Primarschulgesetz von 1856 brachte das hauptamtliche Schulinspektorat. Vorher wurde die Schule in jedem Amtsbezirk durch einen dafür von der Regierung bezeichneten Pfarrer beaufsichtigt, der für dieses Amt den Titel «Schulkommissar trug. Gerade weil es sich dabei um federgewandte Leute handelte, ist manches auf unsere Zeit gekommen, das sonst restlos verschwunden und vergessen wäre. So vernehmen wir in einem Bericht über das Jahr 1832, dass der Lehrer von Meienried für die Sommerschule einen Lohn von Fr. 5.- (schreibe fünf) erhielt, den man aber

für das folgende Jahr erhöhen wollte, insofern als der Staat sich mit einem gehörigen Beitrag beteiligen würde. «Gerne», schreibt der Pfarrer im erwähnten Bericht wörtlich weiter, «würde die Schulkommission auch die Mädchenarbeitsschule eingeführt haben, doch wissend, dass bei so beschränkten Hülfsmitteln und dem Unverstand mancher Gemeindemitglieder nicht alles auf ein Mal zu erzwingen sei, blieb sie für einstweilen bei der vermehrten Sommerschule stehen, hoffend, späterhin auch jenes einführen zu können.» Zum Schluss erbittet der Pfarrer L. Ris in Büren, namens der Gemeinde Meienried, vom Erziehungsdepartement «einige Schulbücher, als Psalmen, Kinderbibeln, Neue Testamente, Gellertlieder, nebst einer Landkarte von Palästina»


Der Schulkommissar empfiehlt die geschenkweise Überlassung der genannten Schulbücher bestens, setzt jedoch als Post scriptum folgende Zeilen darunter: «Wünschenswerter wäre indessen noch, dass ein Lehrer auf diese Schule käme, der imstande wäre, jene Lehrmittel auch gehörig zu benutzen; denn der gegenwärtige ist ein äusserst unwissender Mann»


An der wenig begehrten, schlechtbezahlten Schule wechselten die Lehrer manchmal in einem geradezu modernen Tempo. Kaum einen Niederschlag ausser etwa dem Namen finden wir in den Akten. Sie kommen und gehen! Blieb aber einmal einer länger als üblich, dann war er sicher fachlich bestritten und zeigte daneben die gleichen Schwächen, wie die übrigen Dörfler. Zwei drei mal danebentrappen musste er, um plötzlich fürig zu werden. Man hätte ihn dann gerne weggehabt, wenn man nur gewusst hätte, wie angattigen. So schreibt ein Schulkommissar über den Lehrer Jakob Vögeli:


«Vögeli ist nicht nur sehr schwach, sondern die Schule ist ihm blasse Nebensache, Hauptberuf ist ihm der Landbau, den er eifrig und mit Erfolg betreibt. Kürzlich liess er ein neues Haus bauen und besitzt mehrere jucharten eigenes Land. In seinem Alter, 48 Jahre, fehlt ihm Lust und Geschick zur Fortbildung. Er hörte zwar den Wiederholungskurs (für Lehrer) zu Biel, wovon aber, so wie bei den meisten andern, auch nicht eine Spur von Erfolg zu merken ist.»

Es mag sich jeder Leser seine eigenen Gedanken machen über die Objektivität des zuständigen Vorgesetzten, bevor er die Fortsetzung der Tragödie liest. Im Jahre 1856 bittet der alte Lehrer Vögeli nach über 30 Dienstjahren um seine Entlassung auf den Herbst gleichen Jahres. Zugleich ersucht er um eine ausserordentliche Unterstützung durch die staatlichen Behörden, bis sein Leibgeding fällig sei. «Er fühlt es selbst gar wohl», schreibt der neue Schulkommissar «dass er darin (in der Schule) keinerlei Befriedigung mehr findet. Er will sich auf ein kleines Heimwesen in Meienried zurückziehen, das er sich durch Fless und Sparsamkeit erworben hat, das aber auch mit Schulden belastet, keineswegs genügen würde, ihm in seinem Alter ein hinreichendes Auskommen zu gewähren» Zur weitern Begründung seines Gesuches weist er auf die vielen Überschwemmungen, auf Misswachs und Krankheit hin.

Unser Bild von der Situation des Lehrers Vögeli wäre zu einseitig, wenn wir nicht festhalten würden, dass die Gemeinde Meienried ihren finanziellen Verpflichtungen in keiner Weise nachkam. Im Augenblicke seines Rücktrittes schuldete sie ihm «drei bis vier rückständige Jahresbesoldungen». Die Burger- und die Einwohnergemeinde spielten mit ihm ein unwürdiges Spiel, indem sie abwechslungsweise die Zahlungsplicht ablehnten und ihn an die Gegenpartei wiesen, so dass er schlussendlich gezwungen war, auf dem Betreibungswege zu seinem Guthaben zu kommen, was ihm allerdings vorderhand nur einen Prozess eintrug.

Uns soll vor allem das Schicksal der Schule Meienried interessieren. Unter den obwaltenden Umständen meldete sich natürlich niemand auf die ausgeschriebene Stelle. Voll Verbitterung berichtet Kommissar Jahn nach Bern über den jämmerlichen Zustand des Schulhauses und das unbegreifliche Verhalten der dörflichen Behörden. Wenn nicht ein Wunder der Aufopferung geschehe, sei es rein undenkbar, dass ein auch nur einigermassen brauchbarer Lehrer sich für diese Schule melde. Er macht den Vorschlag, die Schule Meienried mit jener von Scheuren zu vereinigen. Aber alle Bemühungen Jahns scheiterten am passiven Widerstand des Dorfes. Endlich reisst dem Statthalter die Geduld. Er verlangt mit dem Kommissar die Einberufung einer Gemeindeversammlung, an der die beiden Herren teilnehmen wollten. «Allein, wie wir uns melden zur Überfahrt über die Aar, liegt der Fährmann besoffen im Grase und hört uns nicht und wir müssen unverrichteter Dinge wieder heimkehren»

Eine vom Statthalter einberufene Konferenz der Behördenmitglieder von Meienried und Scheuren zeitigte einen Vorschlag an beide Dörfer, die Schulen zusammenzulegen. Ein Termin zur Beschlussfassung wird bestimmt, aber nicht innegehalten. Bereits erwägen die zuständigen Behörden, der Gemeinde Meienried einen Vogt zu bestellen, der in ihrem Namen handeln könnte, da fangen sich die Dorfbewohner zum Glück endlich auf. Mit Scheuren kommt ein Vertrag zustande, vorläufig probeweise für ein Jahr und mit der Möglichkeit zur Verlängerung, dass die Schüler die Schule im Nachbardorf besuchen können. Ein Fragebogen aus dieser Zeit trägt oben die Notiz: «Seit drei Jahren ungefähr besteht in Meienried keine Schule mehr. Dieselbe ging wegen dem Zerfall des Schulhauses und wegen Mangel an finanziellen Mitteln ein und seither wurde diejenige von Scheuren, Amts Nidau, besucht.»

Der Vertrag wurde nach 22 Jahren von Seite der Gemeinde Scheuren gekündigt, um eine kräftige Erhöhung des von Meienried zu zahlenden Schulgeldes zu ermöglichen.

Damit schien den Familienvätern von Meienried der Augenblick für eine mannhafte Tat gekommen zu sein. So viele Jahre hatte man jetzt die Schulkinder den langen, streitbaren Weg nach Scheuren machen lassen, sie Wind und Wetter ausgesetzt, der Nässe und der drohenden Erkältung, das musste nun ein Ende haben. Infolge grösserer Schülerzahl und erhöhtem Gemeindebeitrag wäre die Schulung in Scheuren fast so teuer gekommen, wie wenn man wieder ein eigenes Schulhaus, einen eigenen Lehrer gehabt hätte. Flugs wurde im Februar 1878 das Gesuch um Errichtung einer Schule gestellt, Wobei man die Absicht kundtat, sofort ein neues Schulhaus zu bauen. Um ja nichts zu versäumen, wird der Unterricht provisorisch im notdürftig Zusammengeflickten alten Schulhaus aufgenommen.

Im Jahre 1880 wurde mit dem Bau des neuen Schulhauses begonnen, ein Jahr später wurde es von den staatlichen Instanzen abgenommen und 1882 wurde, infolge Erschöpfung des Kredites für das Vorjahr, der Staatsbeitrag von Fr. 200.- ausgerichtet.

Damit kommen wir schon sehr nahe an jene Zeit, welche die ältesten unserer Leser selber erlebt haben. Es wäre verfehlt, hierüber noch viel zu erzählen. Zu Beginn der Fünfzigerjahre, - wenn wir recht berichtet sind, - wurde das Schulhaus geschickt umgebaut und hätte nun noch manchem Jahrgang dienen können, aber wenn die Schüler fehlen, hat ein Schulhaus wirklich keinen Zweck mehr, was nicht heissen soll, dass man es nicht mehr brauchen könnte. Für die Wohnung wird sich sicher ein passender Mieter finden, denn das Häuschen im Grünen und in der ländlichen Stille ist bekanntlich das Traumbild hunderttausender von Familien. Die Schulstube aber möge das kulturelle Zentrum der kleinen Gemeinde bilden, solange nicht bauliche Schäden oder andere Bedürfnisse der Menschen ein unabänderliches Machtwort sprechen.