Die Schaffnerei «Uff dem Stutz» an der Weinstrasse Murten-Bern


Ob der Bernerwein, welcher seinerzeit aus den stadtnahen Reben gekeltert wurde, einen bessern Tropfen darstellte als der vielzitierte Dotziger, kann heute nicht mehr entschieden werden. Ich tippe eher auf einen Chuttlerugger, der nur mit Honig versetzt für Frauen geniessbar war, besonders in den Fehljahren. Aber es war Wein und vermutlich nicht wenig, denn die Umgebung der Stadt Bern war im 13. und 14. Jahrhundert zu einem grossen Teil mit Reben bepflanzt, die Südseite der Halbinsel, der Altenberg, aber auch die Gegend des heutigen Spitalackers, der Enge, des Brunnmattquartiers, des Marzili, der Schosshalde und der Elfenau.

Der Ertrag war jedenfalls so bedeutend, dass eine eigene Schenkordnung sich aufdrängte. Sie stammt von 1373 und bestimmt, dass aus demselben Fass nur einerlei Wein geschenkt werden dürfe. In ein angestochenes Fass solle weder Wein noch Wasser nachgefüllt werden. In der Nähe des Kirchhofes durfte kein Wein ausgeschenkt werden, um Lärm zu vermeiden.

Wohl schon sehr früh wurde der Wein als Fiskalquelle entdeckt. Wer als Privatmann seinen Wein zuhause trank, der hatte nur den Böspfennig zu berappen, während alle, die Wein ausschenkten, dazu noch das Ohmgeld oder Ungeld als Weinsteuer entrichten mussten.

Wann neben dem Landwein auch bessere Qualitäten z. B. von den Juraseen oder aus dem Waadtland auftauchten, können wir nicht genau sagen, aber wir gehen sicher nicht fehl, wenn wir annehmen, dass solches schon sehr früh der Fall war. Mit dem mBau der Gümmenenbrücke erhielt Bern dann eine sehr günstige Verbindung mit der «Hafenstadt» Murten. Auf dem Wasserwege und auch zu Lande kamen lebenswichtige Güter aller Art, darunter Salz und namentlich viel Wein nach Murten, wo auf Fuhrwerke umgeladen wurde. Nach der Eroberung der Waadt 1536 kam dieser Verkehr erst recht zum Blühen. Patrizier erwarben eigene Güter und Rebberge am Genfersee, weitere widmeten sich dem einträglichen Weinhandel. Die Strasse Murten-Bern wurde daher zur eigentlichen Weinstrasse, welche als wichtigste Querstrasse zur alten Durchgangsroute Solothrn-Aarberg-Broyetal, in guten baulichen Zustand gebracht und regelmässig unterhalten wurde.

Der zunehmende Verkehr brachte Leben und Verdienst in die ehemals eher stille Gegend. Die von Murten herkommenden schweren Fuhrwerke waren in Gümmenen auf Vorspann, auf das «Nieten», angewiesen. Für die obrigkeitlichen Weinfuhren waren die Anwohner verpflichtet, in folgendem Umfang «Züge» bereitzuhalten: Mühleberg, Gümmenen und Mädersforst je 4, Mauss und Buch je 3, auf der andern Seite der Saane, wo die Strecke minger streitbar war, Klein-Gümmenen, Vogelbuch und Feren-Balm je 2, Jerisberg, Rizenbach und Haselhof je 1, Bibern aber 3. Mehr verdienen konnten sie aber von den «nichtamtlichen» Transporten, da deren Tarif günstiger war.

Viel Arbeit brachte der Strassenunterhalt, nur leider meist unbezahlte Tagwerkarbeit. So wurden die Anwohner der Gümmenenstrasse, - Frauenkappelen und Mühleberg - aufgeboten zum Ausholzen der Strasse durch den Gümmenenwald und mdas Allenlüftenholz. Bäume und Gesträuch sollten beidseitig der Fahrbahn so weit gereutet werden, dass die Strasse nach jedem Regenfall rasch trocknen konnte. Die Bauern von Allenlüften wollten für diese Arbeit bezahlt sein, wurden aber abgewiesen, da das Land zwischen Strasse und Waldrand nicht wertlos geworden sei. Die ausserordentlich starken Regenfälle des Herbstes 1750 setzten aber dem Gümmenenstutz derart heftig zu, dass keine Rede mehr davon sein konnte, die grossen  Mehrarbeiten den Anwohnern aufzubürden. Diesmal musste die Zollkammer zur Deckung der Kosten in den eigenen Beutel greifen. Allerdings veranlasste die Regierung später die Salzdirektion, ihr den Betrag zurückzuerstatten. Die Strassen kosteten also Geld und immer mehr Geld. Was Wunder, dass schon 1744 verboten wurde, an abschüssigen Stellen mit Ketten die Räder zu hemmen (kritzen). Wer keine Bremsen besass, musste einen «Schleipftrog» unterlegen.

Der zunehmende Verkehr brachte nicht nur willkommene Geldmittel ins Land, sondern schaffte auch vermehrt Gelegenheit zu Diebereien, wobei es namentlich auf den vielen Wein abgesehen war. Der Fuhrmann, welcher ein Fass oder zwei besten Weines transportierte, geriet bei durstigem Wetter leicht in arge Gewissensnot, denn genügend Tranksame war ja in greifbarer Nähe. Was Wunder, wenn er an versteckter, schattiger Stelle seine Pferde verschnaufen liess, um sich dem Fasse zu widmen. Durch ein Hälmchen läst sich bekanntlich viel Flüssigkeit aufsaugen. Ebenso leicht lässt sich das Manko nachher mit «Lauterburger oder Gänsewein» wieder auffüllen.

Wir lesen bei Valerius Anshelm zum Jahre 1507 unter dem Titel: «Etlich einer stat Bern ordnungen, dass die Winfüerer bi geswornem eid blasse notturft trinkid, nüt drus schenkid, noch kein Wasser drin füllid und sich des alten lons bnüegid.» Damit wurde ein Problem aufgerollt, das während dreihundert Jahren die bernische Obrigkeit beschäftigen sollte, das Weinstehlen. Weder ganz verbieten konnte man das längst nicht mehr, man musste sich darauf beschränken, das üble Tun in einen vertretbaren Rahmen zu weisen. So erhielten 1522 die Amtleute von Laupen, Sternenberg, Aarberg, Murten, Büren und Nidau die Weisung, Karrer und Schiffleute zu sich zu berufen, weil den Fässern immer wieder Wein entzogen werde. Man verlangte von ihnen äusserste Zurückhaltung und gestattete bloss, «in Zimligkeit zu tringken». 1562 und 1605 beschäftigt das gleiche Thema die Obrigkeit von neuem.

Aber nicht jene waren für den Weinbesitzer am gefährlichsten, welche gelegentlich aus den Fässern ihren Durst löschten. Viel grössere Strafen waren jenen Fuhrleuten angedroht, welche mit ihrer Last zu günstig gelegenen Häusern fuhren, ja, gar die Nacht über dort blieben und im Schutze der Dunkelheit obrigkeitlichen Qualitätswein für den Hausgebrauch «abzweigten».

An den grossen Durchgangsstrassen durften schon zu jener Zeit die Wirtshäuser nicht fehlen. Sichere Kunde weiss man darüber erst seit der Reformation. Neben den wenigen Gasthäusern, welche warme Speisen und Nachtlager anbieten durften, gab es die Pinten, denen neben dem Weinausschank nur das Servieren kalter Speisen erlaubt war. Ein Krebsübel bildeten die Winkelwirtschaften. Für Wenig feste Leute barg das Transportgewerbe erhebliche Gefahren.

Schon früh griff daher die Obrigkeit nach Kräften ein. Besondere Aufseher wurden gewählt und für das Übernachten eigene Raststätten bezeichnet. Eine solche Stätte wurde im Jahre 1613 «uff dem Stutz», also zu Allenlüften, eingerichtet. Das für heutige Begriffe wohl ziemlich primitive Gebäude wurde sicher vorerst mit einem bestehenden Bauernhaus zusammengebaut. Erst als es baufällig war und nicht mehr zweckentsprechend renoviert werden konnte, beschloss die Obrigkeit 1679 ein besonderes Gebäude, eine Schaffnerei, zu bauen. Der Schaffner, ein Bernburger, besorgte hier die Durchgangskontrolle, sorgte dafür, dass sowohl die abgeladenen Fässer als auch jene, welche auf dem Wagen blieben, gehörig bewacht, in das Register eingetragen und für die Weiterfahrt mit den nötigen Papieren Versehen wurden. Er war zudem berechtigt, nicht ganz volle Fässer mit Qualitätswein zuzufüllen, gegen Bezahlung natürlich. Die Fuhrleute waren nämlich berechtigt, aus jedem 4 Saum haltenden Fass fünf Mass zu trinken, aber nicht mehr. In heutige Hohlmasse übertragen heisst das, es durften aus jedem Fass von 668 Litern 8 Liter konsumiert werden. Was darüber ging, das wurde mit Vorteil in der Schaffnerei, als der letzten legalen Möglichkeit, auf eigene Kosten ersetzt.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts passierten rund 2000 Fass, und zwar jetzt doppelt so grosse als oben erwähnt, nämlich von 8 Saum, der Saum zu 167 Liter, die Schaffnerei von Allenlüften. Wer sich die Mühe nimmt, die erstaunliche Glungge auszurechnen, wird feststellen, dass pro Jahr rund 27 000 Hektoliter den Stutz hinauf transportiert und nach Bern gebracht wurden.

Wir haben im Vorstehenden von Diebereien berichtet, welche die Fuhrleute und Karrer begingen und fanden es unrecht, wenn nicht auch dargetan würde, wie erlauchte Patrizierherren versuchten, ihre Untertanen zu betrügen. Der für die Obrigkeit bestimmte Wein, der «Herren Wein», musste nach altem Brauch um ganz geringen Fuhrlohn spediert werden. Zsämehäbige Herren gerieten nun leicht in Versuchung, ihren privaten Wein ebenfalls zu diesem billigen Tarif führen zu lassen. Das tat

beispielsweise der Welsch-Seckelmeister Jakob von Wattenwil - der höchste Beamte nach dem Schultheissen. Aber die Mühleberger widersetzten sich seinem batzenklemmerischen Tun und blieben hartbissig, selbst über die Jahrzehnte, bis sie zuletzt Recht bekamen.

Murten und Allenlüften blieben die einzigen Übernachtungsmöglichkeiten für Weinfuhrleute, wobei «uff dem Stutz» über 80 Jahre nur Eigengewächs ausgeschenkt werden durfte. Erst im Jahre 1767 erhielt der Schaffner das Pintenschenkrecht zugebilligt.Und dann ging die Zeit der obrigkeitlichen Schaffnerei zu Ende. Am 5. März 1798 wurden die Oberstleutnants August von Crousaz und Emanuel v. Goumoens in der Nähe der Pintenwirtschaft von wütenden, vermutlich betrunkenen Dagonern ermordet. Dieser Missklang beendete gewissemassen einen grossen Zeitabschnitt und ein neuer begann, in welchem die Schaffnerei keine Daseinsberechtigung mehr besass. Im Jahre 1801 wurde das Staatsgut um Fr. 15000.- an einen Privatmann versteigert. Als private Wirtschaft «Zum Schwanen» wird sie bis auf den heutigen Tag weitergeführt.