Das Haus des Niklaus Rot in Dotzigen
Im Hinterdorf zu Dotzigen, bürenseits an der Landstrasse, finden wir das Haus, von dem heute die Rede, oder vielmehr die Schreibe, sein soll. Es ist wohl das älteste Haus im Dorfe. Sein Erbauer ist längst zum Totenhof getragen worden, die Gebeine zu Staub zerfallen, keine Spur liesse sich mehr von ihm finden, wenn er nicht seinen Namen im Türsturz hätte einkerben lassen.
Als Niklaus Rot im Jahre 1733 das prächtige Alemannenhaus erbauen liess, muss er ein hablicher Mann gewesen sein. Auch wenn wir annehmen, dass er von seiten der Dorfbewohner nach altem Brauch Büge, Türen, Fenster und Schliffscheiben geschenkweise erhalten hat, so musste er doch über beträchtliche Mittel verfügen, um das Bauwerk nicht nur solid, sondern auch für das Auge wohlgefällig gestalten zu können. Vielleicht haben jene Leute recht, welche behaupten, der Mann sei selber Zimmermeister gewesen. Diese Annahme wird gestützt durch die Initialen auf der glatten Fläche zuunterst am gedrehten Bug. Dort kann man in vier Zeilen entzifiern:
17 / 33 / NR / ZM
ausgeschrieben würde das lauten: «1733 Niklaus Rot, Zimmermeister».
Das Haus ist heute das drittletzte auf der rechten Strassenseite am Dorfausgang gegen Büren a. A., schön an den Hang gelehnt am Fusse des ehemaligen Rebgebietes, von dessen Wein Gotthelf in der «Käserei» behaglieh spöttelt: «Die Rede der Vehfreudiger ging immer rascher hin und her, je mehr der herrliche Dotziger, und zwar Schattseite gewachsener, den guten Leuten die Zunge löste»
Der Bauplatz befand sich über der Hochwassergrenze cler seeländischen Gewässer, so dass die Bewohner bei den ehemals so häufigen Überschwemmungen, - wenn auch mit zitterndem Grauen, von sicherer Warte aus auf die kaffeebraunen Wasserfluten hinausblicken konnten, die sich in immer neuer Bewegung bürenwärts wälzten. Jenseits des nahen Eichibaches dehnten sich, von nackten Grienbänken und Sandwürfen unterbrochen, unermessliche Auenwälder, bis hinüber zum Büttenberg, weite Gebiete mit Dorngesträuch, Niederholz und schilfumrandeten Giessen, Altwässern und Sümpfen, zwischen denen nach jedem Hochwasser Aare und Zihl neue Wege suchten.
Auf der Aare wurden bei günstigem Wetter Schiffe talwärts gesteuert, Lastkähne, welche Kaufmannswaren brachten, Wein, Tuch, Salz und Gewürze; aber auch Barken für den Personentransport zogen vorbei in eine unbekannte Ferne. Kein Wunder also, dass die zweite Füllung von links auf unserem Bilde keine Ornamente trägt, sondern vom Verkehr auf dem Wasser kündet. Ein Lastschiff mit zwei Lagen von Weinfässern wird von drei Schiffsleuten talwärts gebracht. Dass die Reise wirklich Richtung Meienried geht, erkennen wir an der gelassenen Haltung des Steuermanns, am Fehlen der Ruderer und am Wegfall des sonst üblichen Pferdezuges. Auch fehlt es nicht, dass einer der Schiffsleute mit dem Strohhalm sich am Wein gütlich tut, was durchaus dem damaligen Brauch entspricht.
Das Rot-Haus steht aber auch an der Landstrasse, ja, es kragt beinahe in das Profil der heutigen Strasse hinein, dieser alten Durchgangsstrasse Solothurn-Aarberg- Murten-Broyetal, welche fast seit den Städtegründungen im Gebiet des heutigen Kantons dem Handelsverkehr zwischen den Marktorten und grossen Messe-Zentren, - Beispiele Lyon, Genf, Zurzach - diente. Wie man sich Pferd und Wagen im 18. Jahrhundert vorzustellen hat, wird auf der ersten Füllung dargestellt. Ein vierrädriger, mit einer Blache zugedeckter Frachtwagen wird von acht Pferden gezogen, welche hintereinander angespannt sind, was vermuten lässt, dass die Strasse vielerorts noch schmal war, eingeengt von Bäumen oder Felsen. Ein Fuhrknecht reitet auf dem vordersten Pferd, es an schwierigen Stellen sorgsam leitend. Der Fuhrmann selber, hoch zu Ross, peitschenbewehrt, kommandiert die Fuhre. Eine fast unleserliche, nur gemalte Schrift lässt den Mann sagen: «Ich bin ein Fuhrmann auf der Strasse. . . . . Ich hab acht ser guete Pfärt, sind etlich hundert Daler wärt.» Einen
ähnlichen Pferdezug zeigt die Schliffscheibe des Hanss Grunder,Tragoner zu Sinnenringen, vom Jahre 1745, heute im Historischen Museum Bem. Er weist aber nur sechs Rosse auf, wobei der Fuhrmann auf dem zweiten sitzt.
Die drei übrigen Füllungen weisen Schmuckelemente auf, welche uns aus der Volkskunst geläufig sind. Je länger man die Südfront betrachtet, desto mehr wird man in der Vermutung bestärkt, die Partie über den Wohnstubenfenstern könnte irgend einmal, vielleicht nach einem Brand, ergänzt und dabei leicht verändert worden sein. Es ist nun höchste Zeit, dass wir uns dem Zeichner unserer beiden Bilder zuwenden, dem längst verstorbenen Lokalhistoriker Bendicht Moser, Weiland Geometer und Posthalter in Diessbach bei Büren. Wer sich mit Urgeschichte, mit Geschichte und
Heimatkunde, mit Siegeln und Wappen, mit Schalensteinen und Haussprüchen beschäftigt, dem ist sein Name durchaus geläufig, finden sich doch in zahlreichen Werken Pläne und Zeichnungen von seiner Hand. Unsere beiden Zeichnungen stammen aus seinem längst vergriffenen Mappenwerk: «Das alte Büren und Umgebung. 2. Serie, 1934.»
Die auf unserem grossen Bild dargestellte Mittagsseite zeigt vermutlich die ursprüngliche Fenstereihe, welche schon 1934 nicht mehr vorhanden war. Genau wissen wir das nicht, wie es überhaupt an Beispielen mangelt, wie die Bauemstube und damit auch die Fenster des 18. Jahrhunderts ausgesehen haben. Wir sind da ganz auf die Museen und die kolorierten Stiche der bekannten Kleinmeister wie Aberli, Freudenberger, König und Lory angewiesen, welche mit ihren Bildern den fremden Reisenden ein möglichst getreues Abbild vom Leben des Hirtenvolkes am
Fusse der Alpen vermitteln wollten. Freudenberger etwa zeigt häufig auch die Fenster mit allen Einzelheiten, die Butzenscheiben mit den eingesetzten grössern runden oder ovalen Schliffscheiben. Moser hat in vier Fenster ovale Schliffscheiben eingesetzt, wie er solche seinerzeit noch in Diessbach gesehen und gezeichnet hat. Er durfte das ruhig tun, denn im 18. Jahrhundert «waren diese Scheiben im Bernbiet weit verbreitet und ungemein häufig, vor allem natürlich in den Dörfern. In öffentlichen und privaten Sammlungen werden heute noch mindestens 1700 Schliffscheiben aufbewahrt»
Nur in seltenen Ausnahmefällen kaufte ein Bauherr die Schliffscheiben selber; sie wurden ihm von Verwandten, Freunden und Gönnern, gelegentlich auch von Behörden, als Geschenk verehrt, zusammen mit dem ganzen Fenster.
Wir möchten die Aufmerksamkeit der Leser noch auf die reichbeschnitzten Fensterbänke hinweisen, auf die lange im Parterre und die drei kürzeren beim Gaden. Oberhalb der Butzenfenster läuft ein Spruchband über den Balken, welches, in lauter eingeschnittenen Grossbuchstaben, folgende zwei Gedanken festhält:
HÜT DICH? FLUCH NICHT IN MEINEM
HAUS ODER GEHE BALD ZU DÄR DÜR
HINAUS. ÄS MÖCHTE SONST GOT VOM HIMELREICH
UNS BEIDE STRAFEN MICH UND DICH ZUGLEICH.
SIND FRIDLICH HIER IN DIESEM HAUS,
SO WIRT EUCH GOT SIN SÄGEN MITDEILEN. AUS
Wenden wir uns nun noch der Partie Mit der Haustüre zu. Das Halbrund beim Eingang ist tief in die mächtige Schwelle eingeschnitten, damit man die Füsse, _ Frauen zudem Schüpp und Gloschli - nicht allzuhoch heben musste. Auf der rechten Seite des Schwellenhalbrundes ist ein Zapfoch angedeutet, in welchem seinerzeit zauberkräftige Sprüche, Wurzeln, Kräuter, Harzsäcklein etc. versteckt wurden, um schädlichen Geistern den Eintritt ins Haus zu verwehren. Beide Türpfosten sind gegen die Tür mit Schnitzereien verziert. Geradezu reichen Schmuck trägt der Sturz. Zunächst über dem Türabschluss finden wir Jahrzahl und Namen:
ANNO 1733 NIKLAUS ROT
Darüber, auf zwei Füllungen verteilt, kann man den Spruch lesen:
IN GOTTES NAMEN GEN ICH AUS, HERR REGIER MEIN
GANZES HAUS, DIE HAUSFRAUW UND DIE KINDER
Neben der Haustüre geben zwei interessant verzierte Tore den Eingang zur Tenne frei. Beide sind heute verschwunden, mussten einer harten, weissen Mauer weichen, deren Fenster ein Zimmer vermuten lassen, das wohl die gleiche Breite aufweist wie das verschwundene Tenn. An Malereien findet der interessierte Betrachter auf den beiden Torflügeln gekreuzte Winkelmasse, Bundhaken, einen Hobel, das Bild eines städtischen Gebäudes und mehrere Zirkelmotive. Auf dem Sturz über den Tennstoren finden wir einen letzten, nicht ganz leicht lesbaren Spruch:
WÄR BAUEN WIL AN DIE STRASEN,
DÄR MUS DIE LEUT REDEN LASEN,
EIN JEDER BAUET NACH SEINEM SIN,
DAS NIT JEDERMAN GEFALEN WIL,
Nach Bendicht Moser wäre es 1934 noch durchaus möglich gewesen, das wertvolle, prächtige Haus zu retten, wenn nicht die schwere Krise und die anschliessende Kriegszeit solch löbliches Tun verunmöglicht hätte. Selbst die Malereien bezeichnete er nur als verblichen und glaubte, ein geschickter Maler könnte sie weitgehend auffrischen. Heute kommt sicher jede Rettungsaktion zu spät. Von der einstigen Schönheit sind nur noch klägliche Reste vorhanden, aus denen nur ein wirklich begüterter Idealist durch umfangreiche Umbauten und Renovationen das vertrödelte Kunstwerk zurückholen könnte. Als ländliches Wohnhaus kann es sicher noch längere Zeit dienen.