Die Vergangenheit des Seelandes

Als in den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts das Interesse für Fragen der Urgeschichte des Menschen zunehmend reger geworden war, wurden unsere Pfahlbauten erstmals erforscht.

ln diesem Zusammenhang sind am Bieler- und Neuenburgersee die Namen Oberst SCHWAB, Notar MÜLLER, P. V. GILLIERON und Professor Desor zu nennen. Die Genannten bedienten sich bei ihrer Sammeltätigkeit bestimmter Gehilfen, die sich vornehmlich aus dem Stand der Fischer und Bauern rekrutierten. Diese Gehilfen lernten bald den finanziellen Wert der «Altertümer» kennen und fischten auf eigene Rechnung mit Zangen, Baggerhaken und -scheren das Fundgut aus den Seen, um die schönsten Stücke auf dem Markt zu verschachern.

Als sich dann wenige Jahre nach Beginn der ersten Juragewässerkorrektion der Bielersee um 2,5 m und mehr absenkte, kamen an seinen Ufern zahlreiche Pfahlbauten, welche sich vorher unter Wasser befunden hatten, zum Vorschein. Das bot der privaten Altertumsfischerei eine noch ausgiebigere Weide. Erst auf Antrag von Dr. J. R. SCHNEIDER griff der Staat verspätet ein und verbot durch Dekret vom 7. Juni 1873 allen Privaten das Graben oder Sammeln in den Pfahlbauten im Interesse der Wissenschaft. Nur Fachleute wie zum Beispiel der bedeutende Geologe EDMUND VON FELLENBERG erhielten Ausgrabungskonzessionen. Der Genannte grub nun im Auftrag und auf Rechnung der Juragewässerkorrektion, ließ die gewonnenen Funde schätzen und verkaufte dieselben an Museen und Sammlungen, nachdem das Antiquarium von Bern vom Vorrang der ersten Auslese Gebrauch gemacht hatte. Auf diese Weise gelangte Fundgut an die großen Schweizerstädte und ins Ausland, wo ebenfalls großes lnteresse dafür vorhanden war. Sogar die USA und Neuseeland wurden mit Pfahlbaufundgegenständen aus dem Bielersee beliefert.


Heute gelangen Altertümer in das Eigentum der Kantone, auf deren Boden sie gefunden werden, und es ist bei Strafe verboten, solche Funde ohne Bewilligung der zuständigen Behörden aus den Kantonen auszuführen. Nach der für den Projektierungs- und Bauleiter der 2. JGK geltenden Dienstinstruktion mussten die historischen Funde sofort der zuständigen Stelle des betreffenden Kantons gemeldet werden und die Arbeiter erhielten angemessene Prämien für die Anzeige und Schonung derselben.

lm Oktober 1961 wurde die von der schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte gebildete Kommission für den archäologischen Dienst der 2. JGK mit der Ausführung der notwendigen archäologischen Vorarbeiten sowie mit der Koordinierung der Arbeiten der zuständigen kantonalen Stellen beauftragt. Ferner wurde dieser von Professor BANDI (Bern) präsidierten Kommission die Aufsicht über die erforderlichen Ausgrabungen übertragen. Die Konservierung, Bearbeitung und Aufbewahrung der Funde blieb Sache der einzelnen Kantone. lm Budget der 2. JGK figurierte für archäologische Belange ein Betrag von Fr. 420 000.-

So war die Sache geregelt, als die bernische Sekundarlehrerin und Studentin der Urgeschichte, Fräulein Hanni Schwab, von der Interkantonalen Baukommission der 2. JGK zur vollamtlichen Leiterin ihres archäologischen Dienstes gewählt wurde. lhr Stellenantritt erfolgte am 1. März 1962 und ihre Aufgabe bestand darin, Bauführer, Maschinisten und Arbeiter über eventuelle Entdeckungen zu orientieren, die Verbreiterungsstreifen an Broye, Zihl und Aare nach ur-und frühgeschichtlichen Siedlungsspuren zu untersuchen und die notwendigen Grabungen zu organisieren. Fräulein

Schwab begann mit ihren Untersuchungen an der Broye in der Nähe von Sugiez und setzte dieselben sukzessive mit den ständig weiterschreitenden Verbreiterungs- und Vertiefungsarbeiten dem Broyekanal entlang in Richtung Neuenburgersee fort. Mit ihrer ausgesprochenen Begeisterung für die archäologische Feldarbeit konnte sie ihre Mitarbeiter packen. Die Baggerführer und Bauarbeiter der Unternehmergemeinschaft unterließen es nie, sie sofort herbeizurufen, wenn sie auf neue Funde stießen, Das Resultat der Grabungen war hochwertig, interessant und spannend. Der reichste und interessanteste Fundplatz an der Broye war ein 80 m langer und 7,60 m breiter römischer Flussübergang im Rondet oberhalb La Sauge. Die größte Überraschung aber, die sogar als archäologische Sensation gewertet wird, war die Entdeckung einer eingestürzten Holzbrücke im alten Flusslauf der Zihl auf dem Gebiet der neuenburgischen Gemeinde Cornaux. Unter der Brücke begraben lagen die Skelette von 18 Kelten des ersten vorchristlichen Jahrhunderts mit ihren Waffen. In einigen Schädeln waren noch unversehrte Gehirnteile vorhanden. Ausgenommen bei ägyptischen Mumien wurden noch nirgends menschliche über 2000 Jahre alte Gehirnteile gefunden. Der makabre Fund von Cornaux ist daher für die Forschung von einzigartiger Bedeutung, und es darf ruhig gesagt werden, dass sich der archäologische Dienst der 2. JGK schon deswegen gelohnt hat.

Weil das Bauprogramm der 2.JGK keine Verzögerung erleiden durfte, mussten Fräulein SCHWAB und ihre unverdrossenen Helfer, Bauarbeiter, Studenten und Schüler im November/Dezember 1965 bis zu den Knien im Schlamm und Morast der tiefen Fundgrube harte Arbeit verrichten.


Fräulein SCHWAB ist durch ihre reiche und interessante Ernte weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden. Sie wurde deshalb von verschiedenen Seiten eingeladen, über die Tätigkeit ihres archäologischen Dienstes und über die Grabungsergebnisse Vorträge zu halten. Sogar an den Universitäten Stockholm und Uppsala hielt sie Gastvorlesungen. Vor ihrer Doktorpromotion an der Berner Universität wurde ihr das verwaiste Amt eines Kantonsarchäologen von Freiburg anvertraut.

Fräulein Dr. HANNI SCHWAB stellte ihr Fundgut 1966 erstmals in Freiburg aus. 1970 fand sodann eine Ausstellung über die Vergangenheit des Gebietes zwischen Neuenburger- und Bielersee in Marin statt, und im November 1972 wurden ihre archäologischen Entdeckungen im Museum für Kunst und Geschichte in Freiburg ausgestellt. Die Zahl der Ausstellungsbesucher war jedes Mal gross.

Unsere Archäologin versteht es, in ihrer eigenen schlichten Art nicht nur packend über ihre Entdeckungen zu berichten, sondern sie kann auch fesselnd darüber schreiben. Bekanntlich gehört zu jeder modernen Grabung auch eine entsprechende Auswertung der Funde und Ergebnisse. Ohne eine wissenschaftliche Veröffentlichung des Materials ist eine archäologische Untersuchung praktisch wertlos.

Deshalb hat uns Fräulein Dr. SCHWAB zum Abschluß der 2. JGK die vorliegende, sehr schöne, populäre Publikation geschenkt, wozu wir sie herzlich beglückwünschen. Wir möchten ihr auch im Namen der lnterkantonalen Baukommission der 2. JGK und aller Empfänger und Leser dieses aufschlussreichen Werkes den herzlichsten Dank aussprechen.

Dieses Buch bringt Licht in das Dunkel der Geschichte und Kultur der ältesten Landesbewohner, unserer Vorfahren. Nicht die Funde allein sind es, die für die Ur- und Frühgeschichte wichtig sind, sondern die Beobachtungen, die gemacht werden konnten, und die uns nun erkennen lassen, dass die Ebenen im Gebiete der drei Juraseen seit dem 8. vorchristlichen Jahrtausend trocken, begehbar und auch besiedelt waren. Wohl wurde das Gebiet in größeren Abständen (etwa alle 1000 Jahre) von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht, vollständig versumpft war es aber erst seit dem 16. Jahrhundert infolge Aufstaus der Aare durch den Emmeschuttkegel und Molasseriegel unterhalbvon Solothurn. Die Vergangenheit des Seelandes erscheint damit in einem ganz neuen Lichte.Herr Professor MÜLLER hat die Veröffentlichung mit einem sehr wertvollen Beitrag über die Wasserstände der Juraseen ergänzt und bereichert. Er analysiert darin die Vergangenheit hydraulisch und geschiebetechnisch und weist ferner über die beiden Juragewässerkorrektionen in die Zukunft. – Auch ihm sei der herzlichste Dank abgestattet für diese wichtige quantitative Grundlage zur Deutung der archäologischen Funde.

Bern 4.Juli 1973

E.Schneider, Regierungsrat
Präsident der Interkantonalen Baukommission der 2 Juragewässerkorrektion