Eine Prinzessin von Hessen-Rheinfels reist durch das Seeland
Es war wohl irgendwann im Frühling des Jahres 1724, als Seine Majestät, der König von Sardinien, dem Rat von Bern kundtat, im Juli werde die Prinzessin von Hessen- Rheinfels, die Braut des königlichen Erbprinzen, durch bernisches Gebiet reisen.
Jetzt weiss etwa jedermann aus den Zeitungen oder vorn Fernsehen, welch umfangreiche Vorkehren heute zum Schutze und Wohlergehen solch illustrer Gäste notwendig erscheinen. Polizei wird aufgeboten, Polizei mit Töffen, Polizei mit Autos und sogar solche mit zivilen Kutteli und alle sind bewaffnet. Eine Rekrutenschule oder eine gerade im Dienst befindliche WK-Truppe übernimmt weitere Schutzfunktionen und alles atmet auf, wenn der offizielle Rummel klaglos verläuft.
Damals, im Jahre 1724, lag der Hauptkummer der Gnädigen Herren und Oberen ganz anderswo, nämlich bei der bangen Frage: Wird die Prinzessin mit ihrem Gefolge, soweit ihr Reiseweg über bernisches Gebiet führt, auch wirklich durchkommen? Nein, lieber Leser, Sie liegen falsch! Räuber waren für grössere Reisegesellschaften keine Gefahr, das Problem Nummer eins bildete der Strassenzustand.
Strassenbau war für die damalige Obrigkeit eine Aufgabe, welche man in aller Höflichkeit den Gemeinden überliess, den Gemeinden, durch deren Gebiet eine Strasse führte, den Partikularen (Landbesitzern), über deren Grund und Boden man fahren musste. Diese Unterhaltspflicht leitete sich her von der römischen Rechtsregel, dass derjenige Zum Bau der Strasse beizutragen habe, der sie gewöhnlich benützt und gebraucht, also der Anstösser.
In der Zeit der Städtegründungen entwickelte sich im bernischen Hoheitsgebiet ein reichverzweigtes Strassennetz, das aber zuerst nur dem Lokalverkehr diente. «Um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts trat die bedeutsame Wendung ein. Bern und sein Gebiet wurden ein Durchgangsland, seine Strassen wurden länderverbindende Verkehrswege und Handelsstrassen zwischen den grossen Handels-, Gewerbe- und Industriezentren Europas», lesen wir bei Baumann.
Die Strassen zu jener Zeit waren fast durchwegs in einem traurigen, bodenlosen Zustand. Man verstand wenig vorn Strassenbau und verfügte auch nicht über das erforderliche Geld. Durch fortwährendes Benützen derselben Strecke durch Fussgänger, Reiter und Karren wurde nach und nach ein Weg getreten, ein Strässlein gekarrt. Mit dem Beil wurden zu lange Äste gekappt, störendes Dornengestrüpp gereutet, Bäume gefällt. Das Gemeindewerk wurde aufgeboten zu unbezahlter Fronarbeit an den Strassen. Mit Äxten, Schaufeln, Pickeln, Hacken bewehrt, verbesserten die Dorfbewohner verliederlichte Wege, was nicht immer mit der nötigen Sachkenntnis geschah, ganz besonders, weil es von oben herab nicht zweckdienlicher befohlen wurde. Noch 1562 wurde angeordnet, die Löcher in der Strasse durch den Bremgartenwald nach der Neubrück seien mit Tannkries auszufüllen. Immerhin findet man zu gleicher Zeit auch Befehle, den Weg «mit grien und kyss und anderem zu beschütten».
Ein Kreisschreiben an sämtliche bernischen Landvögte enthielt folgenden Befehl: «Dass du by dinem geschworenen eyde die Strassen und weg allenthalb under dir erritten sollst und beschowen, und wo du gebrechen vindest, dass du die nachgessenen (die Nachbarn) daran wisest (zur Ausbesserung anhaltest).» Grad schützig scheinen aber die dörtlichen Fronarbeiter meist nicht gewesen zu sein. Wen wunderts, dass angeordnet wurde, die auf der Strasse arbeitenden Dörfler mit Wein und «Mütschen», also mit Wein und Brot, zu verpflegen, was Aufgabe des nächstgelegenen Klosters war. Der Abt von Frienisberg hatte den Auftrag erhalten, «eine flu, so in der Strasse ligt», wegzuschaffen. Aber es dauerte 8 Jahre, bis der geistliche Herr in Trab geriet und mit den verpflichteten Anwohnern den Felsblock. - wohl ein erratischer Block - wegschaffte.
Öfters hatte sich auch die Tagsatzung mit der Verbesserung der Strassen zu befassen. Sie forderte die einzelnen Orte auf zum besseren Unterhalt und zum Kampf gegen das Strassenräubertum. Die Landvögte wurden angehalten, Äste und Stauden aus dem Strassenprofil weghauen zu lassen, so dass jedermann Tag und Nacht sicher passieren könne. Grad viel scheinen auch solche Aufrufe nicht genützt zu haben, denn noch 1583 werden auf der Tagsatzung zu Baden Klagen vorgebracht über die vernachlässigten Strassen.
Als Transportmittel wurden im 14.-16. Jahrhundert in den Zolltarifen unterschieden: Das Saumross, der Karren und der Wagen. Sowohl der zweiräderige Karen als der vierräderige Frachtwagen waren kleine, starkgebaute, dem üblen Strassenzustand angepasste Fuhrwerke, wobei der Frachtwagen mit etwa 50 Pfundzentnern beladen werden konnte. Da der Zoll für eine Karrenlast halb so viel wie für eine Wagenlast betrug, darf geschlossen werden, dass man auch nur die Hälfte aufladen konnte.
Wann Reisefuhrwerke für den Personentransport aufkamen, lässt sich nicht so genau sagen. Jedenfalls mussten die Strassen entsprechend ausgebaut sein, wenn das Reisen nicht zur Qual werden sollte, ganz abgesehen von der Gefahr, das Fuhrwerk auf der löcherigen Strasse umstürzen zu sehen oder am abgelegensten Ort einen Achsbruch zu erleben. Im Reisebuch des Basler Kaufmanns Andreas Ryff vom Jahre 1600 lesen wir von einem derartigen Unfall: «Alls wir nun im namen Gottes also furtfuoren, begabe es sich, uff 1/2 meil wegs hieher Bäterlingen (Payerne), alls wir zwen jungen vornnen uff der bennen des rollwagens gesessen, fuohr der wagen uff ein hochen stein, so in der strass lage; alls nun das raad wider darab bitste (pluınpste), fuol ich überauss (stürzte) under das raad, dass mir das raad über den rechten Schenkel guong.»
Ryff benützte sonst auf seinen Reisen meistens das Reitpferd, gelegentlich auch ein Schiff. Er besuchte in den Jahren 1571-1597 Jahr für Jahr den Solothurner Fastnachtsmarkt, ritt von da direkt an den Luzerner Alten Markt, mehrmals auch nach Bern und über Burgdorf nach Huttwil, wo er mit Berner und Freiburger Kaufleuten zusammentraf. Von 1572 bis 1575 soll er sechsmal in Freiburg gewesen sein. Wenn wir von den Reisen dieses einzelnen Kaufmannes auf den Umfang des ganzen damaligen Handelsverkehrs schliessen, dürfen wir sicher feststellen, es habe zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf den grossen Durchgangsstrassen ganz schön geräbelt und gerattert, namentlich auch auf der seit Jahrhunderten viel begangenen Strecke Solothurn-Murten-Lausanne-Genf.
Johannes Stumpf schreibt über dieses tätige Leben auf den Landstrassen und in den verschiedenen Marktorten: «Jetzt liegend alle Städt, Flecken, Strassen und Tabernen (Wirtshäuser) voll Kaufleut, voll frömds Wyns, voll ausländisch Geschläcks, Gewürz und frörnder War. Es ist jetzt in Helvetien nit mehr wohl geläbt wo man nicht seltsame Welsche Trachten und Essen fürträgt.»
Da der Wein damals noch zu den Nahrungsmitteln gehörte, musste es ein wichtiges Anliegen der Gnädigen Herren sein, dafür zu sorgen, dass wenigstens zur Zeit der alljährlichen Weinfuhren die Strassen sicher passierbar Waren. Wen wunderts, dass die Amtleute von Frienisberg, Aarberg, Nidau, Erlach, Murten, Wilflisburg, Peterlingen, Milden, Lausanne und Vivis mit Mandaten auf ihre Pflicht aufmerksam gemacht wurden: «Im Hinblick auf die nun bald wieder beginnenden Fuhrungen von Wein werden die Amtleute aufgefordert, für Instandsetzung der Strassen zu sorgen durch Verkündigung der angedrohten Strafe» Diese Verkündigung erfolgte sicher von den Kanzeln. Im Gotteshause muss eine Busse von 50 Pfund ganz besonders landesväterlich-christlich geklungen haben.
Verlangt wurde, wie seit Jahrhunderten, immer das Gleiche: Die einhangenden Bäume zurückschneiden. Dornen und andere Sträucher reuten und die Tröhlsteine aus dem Weg räumen. Von einer richtigen Korrektion mit Steinbett, Abzugsgräben, Verminderung der Zahl der Kurven und Ausgleichung unnötiger Niveaudifferenzen war noch keine Rede.
Eine wirklich neue Periode in der bernischen Strassenbaugeschichte begann erst im Jahre 1668. Was im ganzen folgenden Jahrhundert bei den bernischen Strassen gebaut und verbessert wurde, das nahm seinen Anfang mit dem «Zeddel an die Herren Inspektoren über die Strassen _ . .» vom 22.August 1668. Dessen wichtigster Abschnitt lautet wie folgt: «Die Strassen, die über die Felder gehen, sollen ausgehoben, mit Steinen gefüllt und trocken gelegt werden. Die Steine dazu sollen von den Besitzern der Äcker von den Äckern abgelesen und an die Strasse gebracht werden. Andere aber sollen die Steine an bestimmte Orte zusammentragen und dann sollen die Steine an den nötigen Orten zum Bau der Strassen verwendet werden»
Dreissig Jahre später leitete ein Ratsbeschluss die Verbesserung der Strassen im Waadtland ein, das seit 1536 unter bernischer Herrschaft stand, Wobei vor allem die Verbindungen mit Bern und die alte Transithandelsstrasse Broyetal-Murten-Aaberg besondere Beachtung fanden.
Im 18. Jahrhundeıt treffen wir die Zollkammer als eigentliche Strassenbaubehörde in Funktion. Ihr wurde der Auftrag zuteil, sich mit Solothurn in Verbindung zu setzen, um die dortigen Strasseninspektoren zur bessern Aufsicht aufzufordern, wobei man vor allem die schon mehrmals genannte Durchgangsstrasse Solothurn-Büren-Murten im Auge hatte, welche, so ganz nebenbei bemerkt, der bernischen Regierung bedeutende Zolleinnahmen sicherte.
Wir haben im Vorstehenden versucht, Wegverhältnisse, Strassenunterhalt und Strassenbau in alter Zeit zu skizzieren, wobei wir uns ausdrücklich auf das Seeland und die alte Handelsstrasse Büren-Broyetal beschränkten, um darzutun, wie sich der Leser etwa die Reiseroute der königlichen Braut vorzustellen hat. Mit seiner Anzeige hat der König von Sardinien die Ameisere nicht übel geguselt. Die Gnädigen Herren in Bern fanden es «nur anständig und billig», dass die ganze Wegstrecke unverzüglich geprüft und instand gestellt werde. Sämtliche daran residierenden Amtleute, also jene von Lenzburg, Aarau, Aarwangen. Bipp, Büren, Aarberg wurden schriftlich aufgefordert, die nötigen Arbeiten rechtzeitig in Angriff nehmen zu lassen, so dass die Prinzessin «mit ihrem Comitat und Gefolge» ungehindert durchkomme.
Und dann war der grosse Tag da. Es ist mir leider nicht gelungen, eine zeitgenössische Beschreibung der Reisegesellschaft und ihres Vorbeizuges aufzutreiben. Der Leser ist also auf seine Phantasie angewiesen, Welcher ich mit einigen Bleistiftstrichen die Grundlage für ein farbenprächtiges Bild vermitteln möchte. In jeder Ortschaft stellen sich die Bewohner sicher an den Strassenrand, um ja keinen Blick auf die vornehme Gesellschaft zu Versäumen. Vermutlich wurde in Büren oder Aarberg ein Verpflegungshalt eingeschaltet. Der Herr Landvogt hielt sicher eine kurze Begrüssungsansprache, hiess die holde Braut auf bernischem Boden willkommen und wünschte ihr für die Weiterreise alles Gute. Sicher wurde ein Willkommenstrunk kredenzt, der Empfang von den Gästen verdankt und erst dann konnten die Herrschaften ihre Beine unter einen Tisch strecken.
Sicher haben sich die fremden Reisenden nach dem Essen noch ein wenig die Füsse vertreten, Wobei die Einheimischen Gelegenheit bekamen, Kleider und Waffen, Schmuck und Frisuren zu bewundern oder die edlen Reitpferde zu taxieren, wie das so der Brauch ist. Viel zu früh wurde wieder aufgesessen. Der Zug formierte sich entsprechend dem königlichen Protokoll und dann klapperten die Hufe über die Bsetzisteine davon.