Hundesteuer ergibt Lehrerlohn


Noch vor etwa 40 Jahren witzelte man im Kanton Bern, in der und der Ortschaft werde der Lehrerlohn in «Gruenbirrli» ausgerichtet, damit betonend, wie gering die Besoldung des ländlichen Schulmeisters sei, wie arm die betreffende Gemeinde. Grad so schlimm war es um 1830 herum im Städtchen Biel nicht bestellt, aber der Lehrer an der sogenannten Einsassenschule, der Schule für die Nicht-Burger, hatte nichts zu rühmen, unterrichtete er doch an einer richtigen Arrnenschule.

Als Einsassen oder Hintersässen bezeichnete man jene Leute, welche nicht Burger waren und nicht das nötige Kleingeld besassen, sich einzubürgern. Wenn solchen Leuten die Niederlassung gestattet wurde, hatten sie ein Einzugsgeld zu bezahlen und dazu eine Kopfsteuer, das Hintersässengeld. Als blosse Einsassen hatten sie kein Mitspracherecht in Gemeindesachen.

«In Biel gehörte der unentgeltliche Schulbesuch zum Burgernutzen wie Holz und Allmendteil.» Die Nichtburger, eben die Einsassen, waren vom Genuss des Burgernutzens und ihre Kinder damit vom Schulbesuch ausgeschlossen. Da sich aber die Gemeinde aus eigenem Interesse nicht ganz von der Sorge um die Erziehung eines Teiles der Einwohnerschaft entschlagen konnte, half sie seit Ende des 18. Jahrhunderts für die Einsassen Schulgelegenheit schaffen, unter der Bedingung, dass diese in Form eines Schulgeldes auch das Ihrige dazu beitrugen. Das Ziel wurde nicht hoch gesteckt. Nach der Meinung des Rates genügte für kleine Leute ein Minimum an Bildung, und wer unter den Einsassen bessere Figur machte, konnte ja seine Kinder gegen entsprechendes Schulgeld in die Burgerschule schicken.

In der Franzosenzeit entschlief die Einsassenschule und verharrte im Schlaf, auch als Biel längst wieder schweizerisch geworden war. Erst im Jahre 1819 wurde sie gewaltsam geweckt und auf ihre Pflichten verwiesen. Sobald aber der Reiz der Neuheit verloren war, schickten zahlreiche Eltern ihre Kinder überhaupt nicht mehr zur Schule, bis der Rat beschloss, in Zukunft die Saumseligen, gestützt auf das Hintersässenreglement, aus der Stadt fortzuweisen. Weder grad chlüpfig waren die Sünder

nicht, und der Rat erschrak hinterher beinahe vor seiner eigenen Kurasche. Statt Ernst zu machen, wies er den Schulmeister Leuthold an, Kindern, die in einer Fabrik arbeiteten oder sonst wie tagsüber ihren Eltern unentbehrlich waren, des Abends einigen Unterricht zu erteilen. Statt die Interessen der ärmsten Kinder zu wahren, statt deren Eltern mit Gewalt auf den vorgeschriebenen Weg zu weisen, zeigte der Rat selber den Verantwortungslosen, wie dem Gesetz ein Schnippchen geschlagen werden konnte, indem man die Kinder der Nachtschule zuwies.

Die Burgerschule umfasste zu jener Zeit eine burgerliche Mädchenschule und eine burgerliche Knabenschule, welche beide in einem gemütlichen Trapp durch die Jahrzehnte zottelten und gegenüber den Anforderungen, welche mit Fug und Recht an eine städtische Schule gestellt werden konnten, erheblich in Rückstand geraten waren, wie wir einer kritischen Anregung des Bieler Rudolf Neuhaus vom Jahre 1828 entnehmen:

«Die Töchterschule ist rückständig; es wird in ihr nicht mehr gelehrt und gelernt als vor hundert Jahren, und diejenigen anderer kleiner Städte des Kantons sind ihr weit voraus. Auch die Knabenschulen haben nicht mit der Zeit Schritt gehalten. Sie genügen weder als Vorschule des Gymnasiums, noch bieten sie denjenigen eine einigermassen befriedigende Ausbildung, die der finanziellen Umstände wegen auf den Besuch des Gymnasiums verzichten müssen.»

Das war so laut mit der Geisel geklepft, dass die Verantwortlichen sich die Augen ausrieben und das Schulwägelchen wenn nicht gerade in Trab, so doch in einen etwas zielbewussteren Gang brachten. Wir möchten uns aber nicht weiter mit den Burgerschulen beschäftigen, sondern uns wieder der Einsassenschule zuwenden. Diesem Stiefkind des Bieler Schulwesens sollte ein, wenn auch winziges, Wohlgefallen zuteil werden. Bis jetzt war der Unterricht vom Unterlehrer der burgerlichen Knabenschule sozusagen im Nebenamt betreut worden. In Zukunft würde die Einsassenschule einen eigenen Lehrer besitzen, der nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer Unterricht erteilen sollte. Da aber niemand mit der Peitsche knallte, wurde es 1831, bis der erste Schritt getan war. Wohl sollte die Einsassenschule auch in Zukunft eine Gesamtschule bleiben, doch würde der Unterricht in drei Abteilungen erfolgen, wobei die Kinder wie folgt aufgeteilt würden:

I. Abteilung Knaben und Mädchen vom 6.-9. Altersjahr

II. Abteilung Knaben vom 9.- 14. Altersjahr

III. Abteilung Mädchen vom 9.-14. Altersjahr

Jede Abteilung erhielt Sommer und Winter pro Woche 12 Stunden Unterricht, was für den Lehrer ein vollgerüttelt Pensum ergab, den Schülern wenigstens ein absolutes Minimum an Schulbildung sicherte. In der I. Abteilung wurde den Schülerlein je 4 Stunden Lesen, Schreiben und Rechnen erteilt, während für die beiden andern Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen vorgesehen wurden, mit dem Hauptgewicht offensichtlich auf Schreiben und Rechnen. Als erster Lehrer wurde am 4. November 1831 Johannes Mühlheim von Scheuren gewählt.

Damit sah die Einsassenschule fast wie eine bernische Primarschule aus, bloss, die Eltern hatten ein Schulgeld von 30 Batzen pro Kind und Jahr zu bezahlen, während die Burger ihre Sprösslinge gratis schulen lassen konnten. Im Namen von 128 Farnilienvätern wurde gegen diese Belastung der Einsassen beim Stadtrat eine Beschwerde eingereicht, Welche zum Entscheid an das Erziehungsdepartement weiter geleitet wurde. Dieses befand: «. _ _ dass es nach dem  jetzigen Zustande der Gesetzgebung nicht Wohl möglich sei, von dem Grundsatz, dass der Primarunterricht jedem Insassen (= Hintersässen) von der Gemeinde unentgeltlich zu erteilen sei, abzugehen. Könne durch Übereinkommen mit den Einsassen von diesen eine Beisteuer erhalten werden, so würde das Departement dies begrüssen»

Bei seinem Entscheid stützte sich das Departement auf das Gesetz über den Bezug eines Hintersäss- und Einzugsgeldes vom 23. Mai 1804. Dieses berechtigte die Gemeinden, von Leuten, welche sich niederliessen ohne gleichenorts Heimatrecht zu besitzen, ein jährliches, von der Regierung festgesetztes Hintersässengeld zu beziehen. «Ausser dieser Gebühr sollten die Hintersässen unter keinem Vorwand von den Gemeinden _ _ . _ . um ein mehreres besteuert werden können als die Gemeindebürger selbst»

Da die Burgergemeinde Biel wohl ein Hintersässengeld bezog, von ihren Burgern aber weder eine Steuer (= Telle) noch ein Schulgeld verlangte, mussten sowohl Burger wie Hintersässen unentgeltlich unterrichtet werden. Die Schulkommission beantragte, entweder dem Entscheid keine Beachtung zu schenken, die neue Ordnung einzuführen und von den Einsassen ein jährliches Schulgeld von 30 Batzen pro Kind einzuziehen, oder zum alten Zustand zurückzukehren. Der Grosse Stadtrat legte kurzerhand den Rückwärtsgang ein und stellte das Wägeli der Einsassenschule wieder auf den alten Parkplatz. Mit andern Worten: Wegfall der Sommerschule, Reduktion der jährlichen Lehrerbesoldung auf 300 alte Franken, Schulgeld 15 Batzen, tägliche Schulzeit 4 Stunden.

Am Frühlingsexamen des Jahres 1833 wiesen die einzelnen Klassen folgende Schülerzahlen auf:

Einsassenschule: Im Tagesunterricht 91 Kinder

                               Im Nachtunterricht 87 Kinder

Burgerschule:      Untere Knabenklasse 5 6 Kinder

                              obere Kııabenklasse 16 Kinder

                              untere Mädchenklasse 42 Kinder

                              obere Mädchenklasse 40 Kinder

An der bisherigen Einsassenschule wurde mit den Jahren die von der Einwohnergemeinde getragene Gemeindeschule, welche aber weiterhin eine spärlich dotierte Armenschule blieb, während die Burgerschule als gut eingerichtete Schule Burgerkinder und Sprösslinge wohlhabender Einsassen erziehen konnte wie bis jetzt.

Das Primarschulgesetz vom 13. Mai 1835, langerwartet und viel umstritten, wurde auf 1. Oktober gleichen Jahres in Kraft gesetzt. Ds Bärn obe hegte man nicht geringe Bedenken, das Volk könnte kopfscheu werden und all dem  Neuen wenig oder gar kein Verständnis entgegenbringen. Man empfahl deshalb den Statthaltern grösste Vorsicht und Behutsamkeit bei der Einführung. «Soll das Volk einsehen lernen, dass das Schulgesetz auch Vorteile und Wohltaten mit sich bringt, so darf nur allmählich auf dem Wege der Ermahnung und Belehrung demselben Bahn gemacht werden, damit eine Verbesserung von selbst die andere nach sich ziehe und das Volk endlich dahin gebracht werde, dass es freiwillig und aus Überzeugung tue, Wozu es jetzt vielleicht durch Zwang und mit Widerwillen gebracht werden kann.»