Sagen
Ein grausamer Vogt zu Erlach plagte die Schloßknechte den lieben langen Tag und überbürdete sie mit harter Arbeit, wo er nur konnte. Brach ein Knecht halbtot zusammen, hetzte der Vogt seine großen Hunde, bis der Gepeinigte blutend wieder zur Arbeit kroch. Kein Wunder, daß der Vogt weitherum gefürchtet war wie die Pest. Zu selber Zeit war in Mullen ein bärenstarker Knecht zuhause, der mit seinen Kräften jedermann in Staunen versetzte. Man redete ihm nach, wie er als Schiffsknecht mit drei zentnerschweren Weizensäcken über einen wackeligen Laden schritt und an Land ohne Hast einen nach dem andern sachte ablegte. Auch der Vogt vernahm davon und schickte nach dem starken Knecht. Dieser erschien auf dem Schloß zu bestellter Stunde. Der Vogt musterte ihn von Kopf bis Fuß und ließ ihn zuerst ein Probestück verrichten: der starke Knecht hob einen riesigen Steinklotz, der vor den Füßen des Vogtes niedersauste und ein tiefes Loch in die Erde grub.
«Nicht übel», meinte der Vogt, «bist du auch imstande, einen Wagen mit zwei Ochsen im Joch vom Schloßhof die Altstadt hinunter zurückzuhalten und zum Stehen zu bringen?»
«Nicht nur das, Herr Vogt, ich ziehe den Wagen gleich samt den Ochsen aufwärts in den Schloßhof zurück» «Was verlangst du denn zur Belohnung?» «Ein Dutzend Wecken, Herr Vogt» «Was? warum ausgerechnet ein Dutzend Wecken?» «Herr Vogt, ich mag sie eben gern.» Kam der Befehl, die Sache auszuführen, und männiglich staunte, nur den Vogt packte ein Grauen. «Was verlangst du, wenn man noch ein Paar Ochsen anspannt?» «Zwei Dutzend Wecken, Herr Vogt» «Du bist ein frecher Kerl», brauste der Vogt auf und ließ den starken Knecht einsperren. Im Schloßhof wurde zu jener Zeit ein Sodloch gegraben und als der Vogt es tief genug wähnte, befahl er, den starken Knecht zu holen und stieß ihn hinunter. Das Sodloch war so tief, daß man von unten tags die Sterne schimmern sah.
Doch dem Vogt lag die Furcht vor dem starken Knecht heftig in den Gliedern, und er schleppte einen mächtigen Mühlstein herzu. Hatte der Vogt geglaubt, nun sei der starke Knecht in Blitzesschnelle zerschmettert, flog der Mühlstein hoch zum Sodloch hinaus.
«Wollt Ihr mir Sand in die Augen streuen? Laßt das lieber bleiben!», dröhnte es, und der Vogt floh in sein hinterstes Gemach. Der starke Knecht stieg aus dem Sodloch und verschwand im Schloß. Man hörte das Eindrücken der verriegelten Türe, ein Röcheln. Kurz darauf fand man den Vogt tot. Der starke Knecht wurde nimmer gesehen. Doch ein Blutstropfen auf dem Stubenboden ließ sich nie mehr wegfegen. Wenn schwarze Wolken über den See ziehen, geht der Vogt noch immer um und bei Bergluft stöhnt er bald zuunterst im längst zugeschütteten Sodloch, bald hört man ihn im Ringkampf mit dem starken Knecht.
Ein späterer Landvogt hatte das Nervenspiel, und vor allem litt er unter ständigem Kopfzittern. Eines Tages gegen Abend saß er auf dem Bühl und schaute nach Neuenstadt hinüber, musterte dabei die Schloßgebäude, wo am Nordflügel ein Türmchen aus massiven Quadersteinen angebaut war. Der Landvogt sagte zu sich: das Türmchen schwankt und bewegt sich ja, es muß abgebrochen werden, sonst gibt's ein Unglück. Er schrieb die Sache nach Bern, und kurz darauf spitzten die Fronleute das Türmchen ab, von dem nur noch ein Stumpf geblieben ist bis heute.
Derselbe Landvogt haßte die Leute aus der Altstadt wie Gift. Er schimpfte fortwährend, die Altstadter seien allesamt Schelme, vor ihnen bleibe im Schloßhof nichts mehr sicher; dem müsse abgeholfen werden. Von der oberen Altstadt führte der Weg damals durch den Schloßhof zu den Reben hinaus. Der Landvogt schrieb nach Bern, kaufte das oberste Altstadthaus auf der Südseite, ließ es für einen neuen Durchpaß abbrechen und richtete quer zur Altstadt eine hohe Mauer auf. So hatte der Landvogt endlich seine Ruhe.
Es ist noch nicht lange her, daß die große und die kleine Insel richtige Inseln waren. Die beiden Schollen selbst stammen aber bei weitem aus der Urzeit.Einst kam der Riese Goliath auch ins Seeland und zog ob Bipschal den steinigen Pilgerweg hinan. Der Kot am rechten Schuh wurde dem Riesen lästig, und er warf den Knollen in den See hinaus: das war die kleine Insel. Umso lästiger nun der Kot des linken Schuhs, wieder ein Wurf: die große Insel. Andere wissen, daß Goliath oder auch der Teufel einen Riesenschritt von der Grimsel zum Chauınont tun wollte. Er ging fehl, und der Schuh steckte im sumpfigen Neuenburgersee. Die Öffnung, die beim Herausziehen entstand, war der neue Bielersee. Der Riese strich den Kot von Sohle und Absatz ab, und daraus wurden die große und die kleine Insel. Zwischen den beiden Inseln und Erlach ließ dann Julius Caesar durch gefangene Helvetier den Heidenweg bauen.
Erklärung Wecken = ein kleines Brötchen, oder 1 kg Brot