Werbung und Hochzeit
Sie heigen die Meitli gebadet. Die Chorgerichtsprotokolle von Diessbach b.B. geben unter dem Datum des 20. März 1603 bekannt: «Ist abgerathen worden, dass man die Knächten von Büetigen beschicken wolle, da sie an der Fasnacht wieder meiner gnädigen Herren Verbot die Meitli gebadet haben.›› Valerius Anshelm, der Berner Chronist, erwähnt im Jahre 1480 ein Verbot, das sich gegen «das werfen der junkfrowen in die bäch» wendet.
Dieses Meitlibaden, das wohl manchmal recht roh und unbarmherzig vor sich ging, wird von der Volkskunde als «Brunnentauche›› bezeichnet. Die Mädchen wurden aus einem, den Ausführenden gar nicht mehr bekannten Grundein Bäche oder Brunnentröge getaucht, vielerorts auch nur mit Wasser begossen oder bespritzt. Dieses Bespritzen kommt in der Fasnacht gelegentlich auch heute noch vor. Wir haben es dabei mit einem uralten Fruchbarkeitszauber zu tun.
Vom Wasserguss als heute nicht mehr verstandenem Brauch aus heidnischer Zeit führt eine Linie bis zur Taufe, die ursprünglich im Untertauchen bestand, bis zum Weihwasser der katholischen Kirche.
Brot oder Weizen über die Braut werfen. Aus einem Brief an den Vogt Wyss in Lyss vom Jahre 1646 vernehmen wir, «dass man an Hochzytten in Heimführung und Zuführung der Brut kein Brot über sy us werfen sölle.›› Auch dieser Brauch ist heidnischen Ursprungs. Ursprünglich wurde statt des Brotes Weizen über das Brautpaar geworfen, damit reicher Kindersegen es beglücke. Wir haben es also wieder mit einem Fruchtbarkeitszauber zu tun. In den alten Judengemeinden Endingen und Lengnau wurde gleich in der Synagoge eine Schüssel voll Weizenkörner aufgestellt, wo sich die Hochzeitsgäste bedienen konnten. Sobald das Brautpaar Platz genommen hatte, wurde es mit den Körnern beworfen. Kinderlose Frauen versuchten, von dem Zauber zu profitieren, indem sie sich neben die Braut stellten, wo sie ebenfalls von den Körnern getroffen wurden. - Als man den Sinn des Brauches nicht mehr erklären konnte, warf man anstelle der Körner gleich fertiges Brot über das junge Paar und glaubte dabei, diese Handlung könnte ihm ein Leben lang das tägliche Brot sichern.
Hoschen Eisi, loh mi yne! Das Kilterliedlein bringt uns auf einen weitern Brauch, den Kiltgang. Unter dem Wörtchen «chilte›› verstand man ehemals im Bernbiet drei verschiedene Arten des abendlichen Besuches. Zum ersten bedeutete es den ganz gewöhnlichen <<Abesitz››, bei dem sich die verschiedensten Leute zu einem gemütlichen Beisammensein in einer Stube trafen. Schon etwas mehr mit Werbung und Liebe hatte des Kiltens zweite Art zu tun, die «Rundete››. Bei dieser vereinigten sich einige junge Burschen, um des nachts von Haus zu Haus die Runde zu machen und vor den Fenstern der jungen Mädchen zu singen, zu jauchzen, Sprüche aufzusagen und zu handorgeln. Gelegentlich wurden sie dabei zum Eintritt in die Küche eingeladen, wo man ihnen ein Glas Wein oder eine Tasse Kaffee aufstellte. Bei solchen Gelegenheiten konnten sich erste Fäden anspinnen zwischen dem also geehrten Mädchen und einem der Kilter. Simon Gfeller hat die «Rundete›› als Gesamthuldigung mit einem Choreinsatz verglichen, dem die Solopartie später folgen werde. Sobald ein Mädchen die Werbung angenommen hatte, brauchte der Kilter keine Begleitung mehr. Jetzt kam die dritte Art des Kiltens zu ihrem Recht, wobei der Verehrer seine Liebste in der Dunkelheit am Fenster besuchte. Vorbei war die Zeit des langen «Schybens und Döpperlens››, wie es die Rundete noch hatte tun müssen, denn das Schätzeli wartete ebenso sehnsüchtig auf das heimliche Beisammensein wie der junge Mann. Empfing es ihn am Anfang vielleicht noch unter dem Fenster, so liess es ihn noch bald einmal in die Wohnstube, später gleich ins eigene Stübchen, das er gegen Morgen erst wieder verliess.
Mädel mit dem roten Mieder, gib mir meinen Taler wieder! Wenn sich zwei junge Leute einig wurden, der Bursche seinen Antrag gemacht und erhört worden war, dann musste er früher seiner Angebeteten als Ehepfand ein Geldstück übergeben. Das konnte zum Beispiel ganz gut gerade an der Schnottwilkilbi geschehen. Die Liebe lässt sich bekanntlich nicht verschreiben wann sie in hellen Flammen auszubrechen hat und so ein Bänzli, oder wie der Gstabi gerade heissen mochte, nahm eben die Gelegenheit wahr, wo sie sich bot. Der reiche Knubel gab seinem Meiteli wohl meist einen Taler, ein Goldstück, während der arme Teufel es mit minderer Münze, aber geradeso von Herzen tat.
Entstanden später Schwierigkeiten oder säumten die jungen Leute, die als Verliebte natürlich bei jeder Gelegenheit zusammenschloffen, eine Ehe einzugehen, so bildete das gegebene Ehepfand ein untrügliches Merkmal für die Ernsthaftigkeit der Absichten. Ausser einem Geldstück wurde auch etwa Tuch geschenkt, Taffet, Samt, Nastücher, Gürtel, ja, ein Welschli machte sogar geltend, der Bursche habe ihm ein Hundert <<Gufen›› (Stecknadeln) auf die Ehe hin gegeben.
Hochzeitsschiessen. Das auch heute noch gelegentlich geübte Hochzeitsschiessen ist als Ehrung des Brautpaares anzusehen. Das Klepfen besorgt die Jungmannschaft, welche dem Brautpaare gewogen ist. Schon mehrere Abende vor dem eigentlichen Hochzeitstag, sicher aber am Vorabend des Festes und am Morgen während des Zuges zur Kirche wird mit Katzengrinden geknallt, dass es eine Lust ist. Aus Unvorsichtigkeit sind im Lande herum schon öfters Unfälle geschehen, die immer wieder Rufe nach einem Verbot der gefährlichen Sitte zur Folge haben. Der Bräutigam lässt dafür ein Zimis geben. Oft bestellt er das Schiessen direkt, um allfälligen Demonstrationen gegen ein missliebiges Paar vorzubeugen.
Lufthangender Brief. Mit dem Hause Wälti ist seinerzeit auch ein «Himmelsbrief››, «Warnungsbrief» oder «in der Luft gehangener Brief» verbrannt, ein mit der christlichen Religion zusammenhängendes Dokument, um das sich ein blühender Aberglaube gebüschelet hat. Vom Vater auf den Sohn, von der Mutter auf die Kinder vererbte sich der Brief. Wenn noch vor Jahren eine Mutter ihr Ende herannahen fühlte, liess sie die Kinder sich um ihr Bett versammeln und jedes den Text als lebenslänglichen Schutz abschreiben. Es finden sich Exem plare in Michelschrift, Hulligerschrift, Bernerschulschrift, in deutscher Kurrentschrift und vornehm gedruckte. An vielen Wohnstubenwänden hingen sie ehemals gerahmt wie ein Bild oder lagen diskret verwahrt in der Bibel auf dem Unterzug im Hinterstübli. Die gedruckten lufthangenden Briefe wiesen ringsum eine Kette auf, an der sie angeblich vom sich öffnenden Himmel heruntergehangen hatten. Von irgend einem Kräutermannli oder Hexenfraueli wurden sie verhausiert und waren nur gegen gutes Geld zu haben. Man denke doch, wie wertvoll der Schutz des Papieres war! Da der Brief bei der deutschen Stadt Wenkenburg sich der sündigen Welt offenbart hatte, musste das Druckwerk aus dem Lande jenseits des Rheines stammen, was sicher auch meist der Fall war, bis dann ein geschäftstüchtiger Drucker im damaligen Madretsch auf den Gedanken verfiel, selber so etwas zu drucken und prompt klingelte bei ihm die Kasse. Wer aber der nötigen Batzen mangelte, der schrieb den ganzen Text selber ab, welcher meist wie folgt lautete:
«EIN GANZ NEUER TRAURIGER UND WAHRHAFTIGER WARNUNGSBERICHT von dem am 29. May 1733 zu Wenkenburg in der Luft gehangenen Brief, welchen Gott hat sehen lassen vor und in der Stadt, also dass Niemand weiss, worauf oder woran er hangt, ist aber mit goldenen Buchstaben geschrieben und von Gott durch einen Engel gesandt; wer ihn Lust hat abzuschreiben, zu dem neigt er sich, wer aber nicht Lust hat, ihn abzuschreiben, vor dem flieht er in die Luft. Erstens heisst es in dem Brief: Ich gebiete Euch, dass ihr am Sonntag nicht arbeiten sollet, sondern mit Andacht fleissig in die Kirche gehet und fleissig betet und unter dem Angesicht Euch nicht schmücket.
Zum Andern sollt ihr keine fremden Haare oder Perücken tragen, noch Hoffahrt damit treiben. Von euren Reichtümern sollet ihr den Armen auch mitteilen, und glaubet, dass dieser Brief mit Gottes eigener Hand geschrieben und von Jesu Christo uns ist aufgesetzt, auf dass ihr nicht tuet wie das unvernünftige Vieh. Ihr habt sechs Tage in der Woche eure Arbeit zu verrichten, aber den Sonntag sollet ihr mir heiligen. Wollet ihr mir es aber nicht tun, so will ich Krieg, Pestilenz und Hungersnot auf Erden schicken und mit vielen Plagen Euch strafen, auf dass ihr es hart empfindet.
Zum dritten gebiete ich Euch, dass ihr am Samstag nicht zu spät arbeitet und am Sonntag wieder früh in die Kirche gehet, ein jeder, er sei jung oder alt, in wachsender Andacht seine Sünden bekenne, auf dass sie Euch vergeben werden.
Zum vierten begehret nicht Gold oder Silber. Treibet nicht Betrug mit keinen Sachen, noch Hoffart, nicht Fleischeslust und Begierden, sondern gedenket, dass ich alles gemacht habe und wieder zerschmeissen kann. Einer Rede dem andern nichts Böses nach und freue dich nicht, wenn Dein Nächster arm wird, sondern habe Mitleid mit ihm. Ihr Kinder ehrer Euren Vater und Mutter, so wird es Euch wohl ergehen: Wer das nicht glaubt und nicht haltet, der sei verloren und verdammt. Jesus hat das mit seiner eigenen Hand geschrieben, wer es widerspricht und von mir absteht, der soll meine Hilfe nicht zu gewarten haben. Wer den Brief hat und nicht offenbart, der sei verflucht von der herrlichen Kirche Gottes und von meiner allmächtigen Hand verlassen.
Dieser Brief wird einem jeden gegeben abzuschreiben und sollten Eurer Sünden so viel sein wie Sand am Meer und Gras auf dem Feld, sollen sie Euch doch vergeben werden, so Ihr glaubt und haltet, was dieser Brief sagt. Ich werde Euch am jüngsten Tag fragen und Ihr werdet mir von Eurer Sünden wegen nicht ein Wort können antworten. Wer diesen Brief hat zu Haus, den wird kein Wetter erschiessen oder Donner erschlagen, vor Feuer und Wasser wird er verwahret und sicher sein. Welche Person den Brief hat und bei sich trägt und den Menschenkindern offenbart, die soll einen fröhlichen Abschied von dieser Weit nehmen und empfangen. Haltet meinen Befehl, den ich Euch gegeben durch den Diener, welchen ich gesandt habe. Z1; Wenkenburg in der Luft gehangenen Brief, den 29. May 1733. Du Mensch betrachte doch, was sich hier zugetragen, Gott hat es so gefügt und das ist seine Hand, Er wölle, dass wir nicht sein Strafen müssen tragen: Ach, Herr, behüte selbst die Stadt und unser Land; Ach, lass uns diese Ruh noch lange Zeit geniessen, Und diesen Gnadenstrom beständig auf uns fliessen.››
Solche Briefe gab es früher in vielen Häusern, nur stimmten sie nicht immer Wörtlich überein. Beim Abschreiben konnten sehr leicht Fehler unterlaufen und Eiferer liessen sich verleiten, Zusätze und Erweiterungen anzubringen. Es gibt auch Exemplare, die als Einleitung umständliche Berichte über die Wundertätigkeit des Briefes enthalten. Ihre Verbreitung geht weit über die Schweiz, ja über die Grenze Europas hinaus. Neben deutschsprachigen, französischen und rätoromanischen Himmelsbriefen, soll es auch ähnliche Warnungsberichte geben in armenischer, aethiopischer, arabischer, syrischer und weiterer morgenländischer Sprache.
Über den Zweck des Briefes äussert sich Dr. H. Zahler im Jahrgang 1906 der Grunaublätter wie folgt: «Zweck des Briefes war ursprünglich, für die strickte Sonntagsheiligung Propaganda zu machen, wie das aus dem Text deutlich hervorgeht. Damit der Zweck erreicht werde, wird mit Versprechungen und Drohungen nicht gekargt. Merkwürdig ist nun, dass anfänglich die rechtgläubige Kirche sich dem Brief gegenüber durchaus ablehnend verhalten hat. Es erklärt sich daraus, dass die Sonntagsheiligung ursprünglich nicht christlicher, sondern jüdischer Herkunft ist, in Anlehnung an die jüdischen Sabbathgesetze. Die ersten Christen wussten von einer Sonntagsheiligung im Sinne eines allgemeinen Ruhetages nichts, und da die strenggläubige Kirche gegen alles, was jüdisch war, eine ausgesprochene Abneigung bekundete, so wollte sie auch von diesem offenkundig aus jüdischen Anschauungen hervorgegangenen Schriftstück nichts wissen.››
Himmelsbriefe lassen sich schon in sehr früher Zeit nachweisen. Das Christentum hat dieses zugkräftige Werbemittel vermutlich rasch übernommen. So führt Dr. H. Pfannenschmied in «Die Geissler des Jahres 1349 in Deutschland und den Niederlanden» an, dass in einem Brief des Bischofs von Karthago vom Jahre 581 sich bereits ein Himmelsbrief erwähnt finde. Auch Kaiser Karl der Grosse sah sich im Jahre 789 genötigt, gegen einen solchen «schädlichen und erlogenen Brief» Stellung zu beziehen. Heute dient der «lufthangende Brief» nur noch dem offenen oder versteckten Aberglauben. Er soll vor Blitz und Feuer schützen, vor Mord und Tod bewahren, selbst im Krieg. Ferner soll er nach dem Volksglauben bei schwierigen Geburten hilfreich sein.