Das Dotziger Glöcklein und seine Geschichte
Inschrıft: (in gotischen Minuskeln)
AVE MARIA. ANNO DOMINI 1502 JAHR.
Festgemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muss die Glocke werdenl
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiss
Rinnen muss der Schweiss.
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben...
(Friedrich von Schiller, 1759-1805)
Man schrieb das Jahr 1502, als diese Glocke entstand. Etwa 300 Jahre später verfasste Friedrich
Schiller im Gedicht «Das Lied von der Glocke» die Entstehung eines solchen Werkes. Wie zutreffend Schillers Worte auf unseren Zeugen aus vorreformatorischer Zeit sind, wird uns beim Lesen
des Gedichtes wohl bewusst.
Im späten Mittelalter, als das neue Glaubensverständnis sich zu formen begann, läutete das Glöcklein erstmals. Auf Wunderbare Weise blieb es mehrmals vor dem Verschwinden bewahrt; und nun soll seine erzene Stimme an einem würdigen Plätzchen in seiner alten Heimat weiterhin ertönen!
Die Glockengeschichte
Wohl liess sich, wie erwähnt, bis heute bei den weiträumig getätigten Nachforschungen kein schriftliches Dokument über die Herkunft des Glöckleins zutage fördern.
Doch ist die mündliche Überlieferung von Generation zu Generation erhalten geblieben, wonach das 1502 gegossene Glöcklein aus der ehemaligen Kirche zu Dotzigen stamme. «Die Diessbacher haben das Dotzigen-Glöcklein gestohlen» So lautet die Sage, wie sie der Vater dem Sohne weitererzählte. Dabei wird als Tatort vielfach Büren genannt.
Aus den vorstehend aufgeführten Nachforschungen von Dr. Hermann Specker wissen wir, dass die Pfarrei Dotzigen im Jahre 1531 einging und eine Zuteilung zu Büren erfolgte. Wir wissen auch, dass das den Dotzigern nicht recht behagte und der Besuch des Gottesdienstes nach Büren zu
wünschen übrigliess. An obrigkeitlichen Ermahnungen fehlte es jedenfalls nicht. Da die Kirche zu Dotzigen einging, liegt es auf der Hand, dass die Glocke nach Büren gezügelt wurde, wohin die Bewohner von Dotzigen nun auch kirchlich gehörten.
Vermutlich hatte man im dortigen Kirchturm nicht gerade freien Platz für die Dotziger Glocke, und man deponieıte sie im Kirchhof. Hier wurde sie dann offenbar bei Nacht und Nebel von den Diessbachern geholt. Vielleicht waren auch Dotziger als Helfer dabei. Diese Vermutung liegt nahe und ist keinesfalls von der Hand zu weisen; denn um 1539 oder etwas vorher erfolgte ja die Umteilung von Dotzigen zur Kirchhöre Diessbach. Dabei ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.
2. Glückliche Rettung
Es ist mehreren glücklichen Umständen zu verdanken, dass uns das legendäre Dotzigen-Glöcklein erhalten geblieben ist. Aus Berchtold Hallers «Bern in seinen Ratsmanualen 1465-1565» Wissen wir, dass um das Jahr 1536 in der Kirche zu Diessbach gebaut und etwas später das Glockengeläute verbessert wurde. Das bestätigt uns folgende Eintragung aus dem eben zitierten Ratsmanual:
«1562 Januar 30. Denen von Diessbach an ir gloggen ze stür 50 % geschenkt» Man konnte also das «Dotzigen-Glöcklein» in Diessbach gerade gut gebrauchen. Ein Grund mehr, dieses in Büren <<abzuholen››. Im Turm der Kirche Diessbach fand die Glocke nun Verwendung bis im Jahre 1858. Mittlerweile war die Diessbacher Kirche veraltet. Es sei ein «alter düsterer Kasten» geworden, berichtet ein Chroniker. Es wurde daher ein Neubau beschlossen. Dazu gesellte sich auch die Erneuerung des Geläutes.
Es war bereits beschlossene Sache, die Dotzigen-Glocke einzuschmelzen und der Glockengiesserfirma Rüetschi in Aarau als Anzahlung der neuen Glocken zu übergeben.
Doch der Ruf wurde immer lauter, das Dotzigen-Glöcklein müsse gerettet werden. Man gedachte, für das Aufbieten des Gemeindewerkes mit der Glocke zu läuten. Ferner sollte es die hilfsbereiten Bürger zusammenrufen, wenn im Dorf oder in seiner Umgebung der rote Hahn wütete.
Ein idealer Platz liess sich auf dem Dach des im Jahre 1825 erbauten alten Schulhauses finden. So wurde beschlossen, hier ein Türmchen aufzubauen und das Glöcklein aufzupflanzen. Der Einwohnergemeinderat Diessbach beschloss an seiner Sitzung vom 9.September 1859, es sei am 13.September 1859 eine ausserordentliche Einwohnergemeindeversamnılung anzuordnen, zwecks Ankauf dieser Glocke. Nachstehend
lassen wir hierüber die Auszüge aus den entsprechenden Protokollen sprechen:
a) Einwohnergemeinderats-Sitzung den 9. September 1859
Präsident: Bendicht Häni
Mitglieder: Schlupp, Frauchiger und Spielmann
Aktuar: Niklaus Mooser
«Der Ankauf der bisherigen kleineren Glocke von der Kirchgemeinde zum Behufe des Läutens für Versammlungen der Gemeinde, zu Gemeindewerksarbeiten, zu Gemeinde- und Privatsteigerungen etc. wird auf gestellten Antrag hin Vorberathungsweise beschlossen und zugleich erkannt, zur Behandlung dieses Gegenstandes die Abhaltung einer Gemeindeversammlung auf Dienstag, den 13. dieses, Abends 6 Uhr im gewohnten Lokal auf einzuholende Bewilligung des Regierungsstatthalteramtes anzuordnen.››
Abgelesen und bestätigt:
Der Präsident: Bendicht Häni
Aktuar: Nikl.Mooser, Gemeindesehreiber
b) Ausserordentliche Einwohnergemeindeversammlung den 13.September 1859 zusammenberufen auf Bewilligung des Regierungsstatthalters durch behördliches Umbieten durch den Gemeindeweibel.
Präsident: Bendicht Häni
Mitglieder der Gemeindestimmberechtigten: 19
Aktuar: Niklaus Mooser
«Der Einwohnergemeinderat hat in seiner Sitzung vom 9. dieses Monates vorberathungsweise beschlossen, die bisherige kleinere <Riechen› Glocke zum Zwecke des Läutens zu Gemeindeversammlungen, Gemeindewerken sowie auch zu Gemeinde- und Privatsteigerungen, Welche nun Eigentum des Herrn Glockengiesser Rüetschi in Aarau ist, anzukaufen, und der Präsident möchte, dass die Gemeinde diesen Antrag zum Beschlusse erheben sollte. Nach längerer Besprechung und Beratung über die Zweckmässigkeit des Ankaufes fraglicher Glocke wird mit grosser Mehrheit erkannt: Es sei dieselbe zu dem obenaufgeführten Zwecke anzukaufen und der Gemeinderat beauftragt, die weiteren Verhandlungen mit dem Verkäufer zu treffen.››
Abgelesen und bestätigt: Der Präsident: Bendicht Häni
Der Aktuar: Nikl.Mooser, Gemeindeschreiber
c) Einwohnergemeindeversammlung den 8. Oktober 1859, abends 7 Uhr bekanntgemacht durchs Amtsblatt und umbieten von Haus zu Haus
Präsident: Bendicht Häni
Anwesende Stimmberechtigte 17
Aktuar: Niklaus Mooser
«Die von der Einwohnergemeinde angekaufte Glocke soll auf dem Schulhaus aufgepflanzt werden. Das nötige Holz zu dieser Aufführung soll angekauft werden. Dieses zu bewerkstelligen werden aufgefordert
Bendicht Häni, Präsident
Johann Schlupp, in der Schmiedgassen
Rudolf Schaller, Oelen.››
Abgelesen und bestätigt: Der Präsident: Bendicht Häni
Der Aktuar Nik. Mooser Gemeindeschreiber
d) Auszug aus der Gemeinderechnung der Jahre 1858 und 1859
Unter «Ausgeben›› finden Wir: «Herbstmonat, 16. bezahlt dem Herrn Rüetschi, Glockengiesser in Aarau für die Gemeindeglocke einen Betrag von Fr. 406.90 (Beleg 27).»
So wurde das Glöcklein Eigentum der Einwohnergemeinde Diessbach, und ein weiteres Mal ist es gerettet worden und uns erhalten geblieben. Jahr um Jahr ging vorbei, und oftmals bimmelte das Glöcklein. Der Zahn der Zeit aber begann am Haus und Turm zu nagen. 1948 war es soweit. Der Bau eines neuen Schulhauses war längst abgeschlossen, als der Abbruch des alten Gebäudes nötig wurde. Was sollte nun mit der Dotzigen-Glocke geschehen? Der damalige Gemeinderat war sich einig und beschloss, das Glöcklein zu erhalten. Im Spritzenhaus im Estrich fand es bei fachmännischer Montage einen neuen Standort. Gleichzeitig wurden in Dotzigen wieder Hoffnungen wach, das Glöcklein kehre heim, was den nachfolgenden Versen aus der Familien-Chronik Schaller, geschrieben anno 1946 von Johann Schaller, wohnhaft gewesen im Schlössli zu Dotzigen, zu entnehmen ist:
Ds Dotziger Glöggli
Am grüene Bärgli am Aareschtrand, do schteit es Dörfli so hübsch u galant. Dört läbt es Völkli us verschiedenem Schtand: Es sy Büetzer u Bure, ou Lehrer und so, doch Herre hett's keini, mir sy drum ou froh. Mir schaffe, mir huuse, sy lieb mitenand, u isch im Chrüz Chilbi, so göh mer de ds Tanz. Mir hei ou es Türmli, aber keis Glöggli isch do äs isch halt uf Reise, s”wird bald umecho. Vierhundert Johr isch äs scho wäggange, äs bimmelet u bummelet, tuet angereorts hange. Jetz schteifs irnne Egge, isch truurig und ellei, Oh Glöggli, liebs Glöggli, ehurnm bald wieder hei. D”s schönschte Plätzli muesch ha,denn alli Dotziger söll Fröid a der ha. Ou die ältischti Frou, üses Annemarei, ma's fasch nid erwarte, drum Glöggli chumm hei. Die Buebe u Meitschi, mit fröhlichem Gsang, die wärde di hole, s”geit gar nümm so lang. Voruus d`s schönschte Meitschi, ds ganz Dorf isch derby Drum Glöggli, liebs Glöggli,ibitt” di, chumm gly.
Aus dem Volkskalender «Dr Seebutz» von 1955 stammen folgende Sätze zum Dotzigen-Glöcklein: <<,..Sein ihm zugedachtes Schicksal ist keines- wegs beneidenswert, hängt es doch verlassen und zur Untätigkeit verurteilt unter einer langen First bei den Fledermäusen. Gerne übernähme die heutige Generation das Altertum wieder zu kulturellen Handen. Es wurde denn auch kürzlich eine von sehr zahlreichen Unterschriften interessierter Dotziger beurkundete Initiative eingebracht. Möge dem ersehnten Glöcklein die kurze Fahrt in sein ursprüngliches Reich im Sinne freundnachbarlicher Aufgeschlossenheit gewährt werdenl» Vorläufig blieb aber alles beim alten. Nur noch äusserst selten und bei ganz besonderen Anlässen wurde das Glöcklein in Betrieb gesetzt, z. B. zur Eröffnung des KIGA-Festes 1976, des grossen, unvergesslichen Kindergartenbasars in Diessbach.
3. Neue Kirchenglocken Viel zu besprechen gab 1951/52 die Beschlussfassung der Kirchgemeinde, neue Kirchglocken anzuschaffen. Ein sehr schönes Geläute War vorgesehen. Bei der Kreditbeschaffung kam aus der Mitte der Kirchgemeindeversarnmlung die Anregung, es sei die alte Schulhaus- bzw. Dotzigen- Glocke einzugiessen und als Zahlung an die neuen Glocken zu geben. Dagegen wehrte sich nun aber der damalige Sekretär der Kirchgemeinde, Ortspfarrer Walter Junger, vehement. Er verfasste die entsprechende Protokollstelle wie folgt: «...frägt an, ob nicht die frühere Schulhausglocke eingegossen werden könnte für den Guss der neuen a-Glocke. Der Sekretär erklärt, dass es sich bei dieser Glocke um einen ehrwürdigen Zeugen aus alten Zeiten handle. Sie wurde 1502, also vor der Reformation gegossen. Herkunft nach der <Sage› von der Kirche in Dotzigen, doch nicht bewiesen. Auch die Eigentumsverhältnisse sind nicht abgeklärt» Das Votum verfehlte seine Wirkung nicht, und das Glöcklein war ein weiteres Mal gerettet.
4. Die Heimkehr Im Zusammenhang des in Dotzigen beschlossenen Baus eines Gemeindezentrums, verbunden mit einer Renovation der Bangerter- bzw. Stämpfli-Häuser, ist auch ein Raum für kirchliche Zwecke sowie die Erstellung eines Glockenturms geplant. Weil sich hier ein würdiges Plätzchen für das Glöcklein anbietet, wird nun ein neues Kapitel der Dotzigen-Glocke geschrieben. An einer denkwürdigen Versammlung beschloss die Einwohnergemeinde Diessbach am 8.Dezember 1980, die Dotzigen-Glocke als Leihgabe zum dauernden Gebrauch der Einwohnergemeinde Dotzigen zu überlassen. Nach rund 450 Jahren soll sie nun anlässlich der 800-Jahr-Feier in Dotzigen feierlich in ihr altes Heimatdorf zurückkehren. Möge sie hier von Generation zu Generation eine dauernde Stätte behalten, als Andenken an längst vergangene Zeiten und zur Ehre Gottes und unserer Heimat.