Das Hornen und andere Bräuche
Das im Oberland und in andern Teilen des Kantons Bern und der Schweiz so häufige Hornen oder Wigglen ist im Bargen Chorgerichtsmanual erstmals um das Jahr 1770 verzeichnet, und zwar als Charivari (Katzenmusik). Wer sich durch Geiz, Missheirat oder nicht einwandfreien Lebenswandel bemerkbar gemacht hatte, dem brachten vermummte Gesellen mit Hörnern, Pfannendeckeln, Peitschen, Rätschen und anderen Krachgeräten ein ohrenbetäubendes Lärmkonzert dar, wobei die
Sünden der Heimgesuchten mit starker Stimme, oft in Versform, hervorgehoben Wurden. Zuweilen führte man eine Strohpuppe mit, die den oder die Angeklagte darstellte, und verbrannte sie zum Schluss. Am 6.Januar 1770 verübten 13 junge Burschen nachts ein Charivari, wie Pfarrer Samuel
Schué protokolliert. Sie bekannten hernach alle vor dem Chorgericht ihren Fehler und baten um Vergebung. Deswegen brauchten sie dann nur je 2Kreuzer statt 5Kreuzer Busse zu bezahlen. Die Schuldigen aber hatten am Sonntagmorgen in der Kirche zu erscheinen, wo ihnen der Pfarrer auf
Grund des 4. Psalmes eine Strafpredigt wider der Weltkinder Eitelkeit hielt. Doch schon am 4. Heumonat gleichen Jahres ging es wieder los, 9 Mannen wurden dem Chorgericht vermeldet. Die üblichen Verkleidungen schützten nicht vor dem Entdeckt werden, während anderorts die Horner nicht ermittelt werden konnten.
Auch die Tätigkeit der Nachtbuben machte sich bemerkbar. Im August 1637 ritten sie in einer Sonntagnacht auf einem Wagen raschelnd den Kirchrain hinunter. Ehestreit entstand 1640 in einer Familie, weil die Frau «als der Mann daheimen tröscht, demselben ein Suppe kocht, darin eine ganzeMuskatnuss geschabt wurden››. Muskat, ein Mittel, die Zuneigung der Personen zu geniessen, scheint hier das Gegenteil bewirkt zu haben. Selbst Frauen griffen einander an und misshandelten sich. In der Osterfreitagsnacht 1669 wurde dem Pfarrer ein Impt (Bienenstock) weggenommen undder geleerte Korb in die Bünd («Flachsplätz») getragen. Mit dem lärmenden Singen und Grölen verband sich 1670 vor dem Hause des Meiers sogar eine Schiesserei. Man gab darauf vor, auf einen bösen Hund geschossen zu haben. Fürs Jahr 1702 ist dann in Bargen eine Nachtwache bezeugt.
Das Übernamen geben war schon damals üblich. Einen benamste man mit «Kürbs››, einen andern mit «welscher Hahn››! Die bösen Mäuler zahlten ebenfalls Busse ans Chorgericht. Auch die Trunksucht war leider schon in jener Zeit nicht unbekannt und hatte oft viel Streit, Schlägereien, Ehewirrnisse und Familienverwahrlosung zur Folge. Italus Kauffmann von Säckingen, seit 1640 in Bargen wohnhaft, der sich mit seiner Frau im Aspiwirtshaus mit Trinken übernahm, versprach mit Tränen in den Augen Besserung.Später ist der ehemalige Katholik sogar Sigrist an der reformierten Bargenkirche geworden. Rückfällige Trinker wurden von der Kanzel verrufen, und die Wirte forderte man auf, ihnen keinen Wein mehr zu verabreichen. 1789 wurde vor dem Chorgericht geklagt, dass verschiedene Gemeindegenossen ganze Nächte zu Aarberg in den Wirtshäuser zubrächten.
Die Chorgerichtsverhandlungen geben indessen von der Art der Bevölkerung nur ein einseitiges Bild. Die raue Äusserlichkeit und Derbheit in Gehaben und Rede verderben den guten, soliden Hintergrund, der beim Seeländer ebenso sehr wie beim übrigen Berner vorhanden ist: Die Treueund Hingabe, die Liebe zum Notdürftigen und Gebrechlichen, den einigen Fleiss und zähen Arbeitsgeist, offenes und tapferes Wesen. Man machte damit kein Aufsehen.
Trotz vieler Unzukömmlichkeiten besass das alte Chorgericht doch das Gute, dass es die Frau bei schlechter Behandlung durch den Ehemann nachdrücklich in Schutz nahm und auch für die Kinder sorgte. Nach der Beseitigung der Chor- und Sittengerichte im 19. Jahrhundert ist dieser Schutz leider längere Zeit fast ausgeschaltet gewesen!
Zum Unfugtreiben gehörten auch das «Heissenverheizen, das Stutzen, das Bängglen und Bschütten, 1668 gerieten zwei Ehemänner, ein Ehegauner und ein Gerichtsäss zur Osterzeit wegen einer Wässerung auf der Nottenmatte in Streit, wobei sie einander «ohne Ergerniss hiessen verhetzen.Die Busse war 5 Schilling. 1684 bestrafte das Chorgericht 4 Knechte, weil sie nachts im Dorfe «gestolzet›› hatten. Es wurde ihnen eingeschârft, nachts daheim zu bleiben. Bei Zankereien und an Kiltabenden kam es vor, dass die Jungen einander mit Hölzern bewarfen, bänggelten oder gar sich noch mit Wasser oder Gülle beschütteten. 1700 kehrten Aarberger in Trübs Wirtshaus zu Bargen ein, tranken ihre Mass Wein, wurden aber auf der Rückkehr bei des Küfers Haus am Zaun mit Mistwasser beschüttet und übel zugerichtet. Solche Stadt- und Dorffeindschaften waren damals durchs ganze Land hindurch üblich, in Bargen auch mit den übrigen Nachbarn von Aarberg, Kallnach, Walperswil, Siselen und Seedorf.
Der Sonntag wurde bei unseren Vorfahren streng gefeiert. Die Übertretung der Vorschriften erfuhr unnachsichtliche Bestrafung. Jakob Freitag von Kerzers schritt 1664 an einem Sonntag mit einer rohen Kuhhaut mitten durch die Kirchgänger nach Aarberg zur Gerbe, wofür ihm 5 Pfund Busse aufgesalzen wurden. Wilhelm Wäber hatte in der gleichen Zeit für sein Fluchen bei Gott und den Sakramenten nicht nur 20 Schilling zu erlegen, sondern auch noch den <<Herdkuss›› (Küssen des Erdbodens) zu tun. Andere Verfehlungen waren des Sonntags Lastschiffe durch den Bargen-Aarberg-Kanal ziehen, Truthähne stechen, Pferde metzgen, den Bodenzins überbringen, Rosse beschlagen u.v.m.
Von den Totenbräuchen ist in dem Manual nur wenig zu erfahren. Zur Zeit des Dreissigjährigem Krieges 1632 kam es vor, dass Uli lsenhut, ein Radelfinger, wohnhaft zu Bargen, seiner Frau keinen Totenbaum (Sarg) machen liess, trotzdem sie es begehrt hatte. Das Chorgericht büsste ihnfür seinen erzeigten «Gyt›› (Geiz) und Unverstand mit 2 Pfund. 1642 liess Margret Rätz ihren Mann ohne Totenbaum begraben und hatte deswegen 10 Schilling zu erlegen.
Die Hoffart wurde scharf aufs Korn genommen. 1680 sollte die Näherin Madle Schürer die neue Mode unterlassen und ihre hoffertigen Kleider abtun. 1755 musste Frau Marie Wäber das «wohlgefalten ihren Umständen unnötige Hämlin wegschafen.
Das Tabakrauchen oder Tabaktrinken, wie man es zunächst nannte, ist für Bargen im Jahre 1660 zum ersten Mal erwähnt. Da kam am 22. Christmonat der Leyd (der Wüst) von Kallnach nach Bargen. Er ging mit seinem Begleiter Hans Haas nicht in die Vorbereitungspredigt, wie er hätte sollen,sondern in Thüring Schliffers Haus, wo sie von dem Tabak tranken, was dann vor Chorgericht 5 Schilling erforderte. 1705 ergab sich der sechzehnjährige Rudi Andres, des Schulmeisters selig Bub, ein Spottvogel der jedermann das Wort verkehrte, dem Tabakrauchen, wie man es jetzt benannte.Bald wurde der Brauch allgemein. Das Kraut belegte man zum Nutzen des Staates mit kräftiger Steuer!
Schon 1693 wird im Pfarrkapitel Nidau, zu welchem Bezirk auch Bargen gehört, über die Heiden oder «Cygyner›› gemeldet, wie sie im Lande gruppenweise herumstreichten und «Segnery›› und Aberglaube unter den Landleuten treiben. Das wandernde «Zeginer›› - oder Zigeunervolk - kam1697 auch durch Bargen. Die Peterhansenen soll damals diesen Heiden allerlei Speisen gegeben haben, dafür sollten sie verschaffen, dass die Kühe ihre Milch nicht zurück hielten. Die im September 1646 wider dies fremde Volk gemachte Ordnung solle wieder genau gehandhabt werden, wünschten die Pfarrer. 1702 wurden Hans Känel und Ruedi Radelfinger ebenfalls mit 10 Schilling gebüsst, weil sie bei einem Landstreicher aus Sigriswil verbotene Künste wie Schatzgraben und verborgene Marchsteine ausfindig machen, erlernen wollten.
Der Mensch in den alten Zeiten lebte in beständiger Furcht vor geheimnisvollen bösen Wesen, Geistern und Dämonen, Gespenstern und Hellsehern, aber auch vor Krankheiten und Naturheimsuchungen. Dagegen sollte er sich mit Zauber- und Segenssprüchen wappnen. Gegen die schlimmen Gewalten rief man die himmlischen Mächte zu Hilfe. Man nannte das im Volke «dafür tun››. Besonderen «Segen›› gab es gegen Gsüchti, Augenkrankheiten, Blutungen, Gicht, dann aber sonderlich auch solche zur Vertreibung der Hexen und Gespenster. In ihrem Alter gehen diese Sprüche in die germanische Vorzeit zurück, nähern sich aber der Gebetsform, indem sie immer die drei heiligen Namen Vater, Sohn und Heiliger Geist anrufen. Das Gsüchti oder die Gliedersucht wird aus dem Mark in das Bein, von diesem in das Fleisch, vom Fleisch in die Haut und aus dieser in einen finsteren Wald gezaubert, wo es bis zum jüngsten Tag verweilen soll. Gegen dieses «Versegnen›› als Aberglaube ging die Kirche ebenfalls vor, so 1644 das Chorgericht Bargen gegen Urs Eggli und seine Frau «van versegnerischen und abergläubigen Sägen halben» Da sie leugneten, kam die Sache noch vor den Vogt. Wie sie ein Ende nahm, ist nicht ersichtlich.
Als einer, der den Teufel heraufbeschwören konnte, «damit der den Menschen zu drösten sei, und als Meister in Sägnereien›› galt ums Jahr 1667 der «Buggel›› Christen von Kappelen.
Das Verwünschen und Anwünschen war in dieser Zeit üblich, wie sogar das Totbeten und Totnageln. Das Totbeten bestand darin, dass beim Beten und Verwünschen rückwärts geschritten wurde, oder man betete verkehrt und fing hinten an. Noch unheimlicher war das Totnageln des Feindes. Dieserfolgte zwischen 11 und 12 Uhr in der Neujahrsnacht. Man nahm unter Nennung der drei höchsten Namen und des Feindes einen Nagel, der aus einem Sarg herstammte, umwickelte ihn mit Haaren des Feindes und schlug ihn in einen grünen Baum. Trieb man den Nagel bis ins Mark des Baumes,so starb der Verfluchte sogleich, sonst aber serbelte er in dem Masse ab, wie der Nagel alle Jahre weiter hineingeschlagen wurde.
Auch die Hexen konnte man totnageln. Man musste drei Nägel nehmen und sie mit Armensündenschmalz einfetten, darauf schlug man sie unter Hersagung der drei höchsten Namen in einen Stamm. Der Baum ging darauf kaputt und die Hexe mit. Nachdem 1660 im Amt Aarberg die letzten Hexenverbrennungen stattgefunden hatten, dauerte der Glaube an Zauberei und Hexerei noch Jahrzehnte weiter. So warf 1665 Rudolf Reinhards Frau der Frau des 'Thüring Reinhard vor, sie könne so viel anknen und habe weniger Milch als die andern. Noch 1684 wollte man am Samstagmorgen eine alte Frau mit einem schwarzen Huhn gesehen haben! Wie an Hexen und Gespenster, so glaubte man von jeher und noch lange nachher an die bösen Geister oder Ungeheuer. So sagte im April 1669 Christen Nicklaus zu Bargen aus, er sei einmal in der Nacht erwacht und habe auf dem Feld Brüllen und Schreien gehört und vermeint, es wäre das Ungehür!
1661 war zwischen Aarberg und dem oberen Seeland der Aare-Broye-Kanal beendet worden. Noch Jahre darauf, so auch 1668, mussten die Landbesitzer Kanalerde einwerfen, d.h. das Aushubmaterial auf die anstehenden Felder verteilen. Zwei arbeitende Frauen gerieten bei dem Kanal auf dem Unterfeld in Streit und eine sagte der andern, sie sei eine Hexe, sie habe den Teufel in ihrem Leib. Der soll sie auf den Rücken nehmen und siehinweg über den höchsten Gäschtlerberg (Chasseral) tragen. Den gegangenen «erschrökenlichen Fehler» hatte Thüring Schürers Frau in Anwesenheit des Landvogts mit dem Herdfall zu küssen, d.h. sie musste einen Kniefall tun und die Erde küssen. Wer wüst redete,fluchte und den Teufel und Satan anrief, hatte allgemein den Fussfall und Erdkuss zu tun!
Während und nach dem Dreissigjährigen Krieg zog viel fahrendes Volk auf der alten Wanderstasse hier bei Bargen vorbei. Bettelvolk und Landstreicher waren so zahlreich, dass man die Bauern verpflichten musste, solche über Nacht zu halten. Niggli Schürer weigerte sich 1638, das zu tun,«er könne die Armen nicht beherbergen, den er heige syn Fleisch grad in dem Gemach aufgehenkt. So er die Fremden darin hiesse, müsste er besorget sein, es werde ihm des Nachts gestohlen>>. Einmal, 1663, wurde eine Hausfrau vermahnt, weil sie die fremden Fürreisenden, «si sygend Männer oder Wyber, verachte und lächerlich mache, sage wie der und diese so wüst sei und wie der,und diese so schlimm einherschreite>›. Zahlreich waren um diese Zeit die Kessler und Korbflechter.
Schon im 18. Jahrhundert hatte der zukünftige Ehemann bei der Heirat einen sogenannten Armaturenschein vorzuweisen, eine Bescheinigung, dass er Montur und Gewehr besitze. So haben am 8. Februar 1782 «hier in Bargen Kirchenrechtgehalten, da der Herr Pfarrer Völklin als Herr Schäker für die Montur hat gut gesprochen, Bendicht Andres von Bargen, Schulmeister zuBühl, und des Pfarrers Tochter Catharina Völklin, von Thun››.