Die Obere Budlei bei Vinelz


Geschichte einer bernischen Patrizierbesitzung


Ferdinand Brügger Lehrer. Mettlenweg 94. 2504 Biel

Ungefähr auf halbem Wege zwischen Lüscherz und Vinelz befindet sich das auf drei Seiten von Wald umgebene Gut der Oberen Budlei. Der nördlich gelegene Wald, einmal Budlit, dann wieder Budlig oder sogar Bodlet genannt, wird dem Gut seinen Namen gegeben haben. Auf die gleiche Art kam wohl auch die unterhalb dem Budligwald am See gelegene Untere Budlei zu ihrem Namen. Dass der gleiche Name der beiden Güter davon herrühre, dass sie einst dem gleichen Besitzer gehört hatten, wie Friedli und Stettler annehmen, kann in keiner Weise belegt werden.

ln welche Zeit fällt nun aber die erste Besiedlung der Oberen Budlei? Das Pfrundurbar von Vinelz aus dem Jahre 1535, das sämtliche Kirchgenössigen aufzählt, kennt keine Bewohner der Oberen Budlei. ln von Mülinens Heimatkunde heisst es: «Die obere Budlei, in deren Nähe die Kapelle zu den sieben Eichen gestanden, wurde um 1700 von Emanuel Gaudard von Bern aus einem unbebauten Orte zu einem fruchtbaren Landgut umgeschaffen.›>. Die Gaudard stammten aus Lausanne und haben 1619 das Bürgerrecht von Bern erworben. Sie gehörten der Zunft zu Kaufleuten an. Ein Zweig der Familie begründete in Bern eine Buchbinderdynastie, die bis ins 19. Jahrhundert reichte. Emanuel Gaudard, der Erwerber der Oberen Budlei, war der älteste Sohn des Samuel Gaudard, beider Rechte Doktor, Burger und General-Commissarius der Stadt und wurde am 30. Juni 1660 in Bern geboren. 1677 schloss er seine Studien ab (unter andern auch bei Samuel Henzi, Professor der griechischen und hebräischen Sprache und späterem Pfarrer zu Vinelz).

Noch im gleichen Jahre verliess Emanuel seine Heimatstadt, um als Schreiber des Hauptmanns Albrecht von Mülinen in französischen Kriegsdiensten nach Katalonien zu ziehen. Laut Familiengenealogie, deren erster Verfasser er war, wollte Gaudard nach seiner Rückkehr in Bern einen Buchhandel eröffnen, was ihm aber misslang. Darauf kaufte er die Güter in der Budlei, machte aber damit keine guten Geschäfte und starb im Jahre 1719 in Piemont. Die Erwerbung geschah durch Tausch. Der Tauschbrief trägt das Datum vom zwölften Wintermonat 1691. Landvogt Daniel Lerber zu Erlach, «im Namen unserer gnädigen Herren und Obern Loblicher Stadt Bern››, übergibt Emanuel Gaudard, «Burger Notario Publico und Buchführer Ehrengedachter Stadt Bern» (diesen Titel trägt

Gaudard auch in allen weitern Briefen und Verträgen), «ein Stück Erdtrich im Ober Budley gelegen, haltet chngefahr drey Juchar'ten››. Dagegen erhält Landvogt Lerber «ein Acher, ohngefähr zu achtzehn Mäßen gross zu lnß bei der Zehnd-Schür gelegen» (ein Mäss Ackerland entspricht etwa einer Achteljucharte, nämlich so viel Land, als mit einem Mäss Weizen angesät werden kann). Das Land in der Oberen Budlei hatte also dem Staat gehört. Der Erwerb in der Oberen Budlei beträgt drei Jucharten, der Acker in lns aber nur rund 2 1/4 Jucharten; das Land in ins wird viel höher eingeschätzt, so dass Landvogt Lerber dem Gaudard ganze sechzig Taler Nachgeld geben muss. Das Land in der Budlei scheint demnach nicht sehr viel gegolten zu haben. Damit erwahrt sich der Ausspruch von Mülinens, dass Gaudard aus einem «unbebauten Orte» ein fruchtbares Landgut

geschaffen habe (vgl. Abb. 40).

Kurz vor dem geschilderten Tausch (3. November 1691) schloss Gaudard einen <<Lechenbrief» mit Jakob Anker von Ins ab, beginnend ab Martini gleichen Jahres mit einer Dauer von sechs Jahren. Das Lehen umfasste: «das ober Budlit genannt, wie der Hr. Hinleicher solches dißmal in Besitzung hat und was er inss künftig darzu erkaufen wirt››. Es ist verständlich, dass ein Gut von drei Jucharten für einen Lehenmann keine Existenz bedeutet.


Doch scheinen einige weitere Stücke Land schon im Besitze des Emanuel Gaudard gewesen zu sein. So wird im Lehenbrief eine Heumatte in Treiten erwähnt, ferner ist auch von Reben die Rede, die der Lehenmann besorgen soll. Auch hatte Gaudard am 13. Juli 1691 von der Schützengesellschaft lns ein Stück Land, die Schützen-Allmend in der Oberen Budlei beim Tschuggitwäldli um 50 Kronen erworben. Bereits am 16. Juli 1672 erwarb er ein Mahd Matten in der Mieschmatten von Peter Traffelet, Zimmermann zu Vinelz (um 25 Kronen), anfangs Wintermonat 1691 wieder ein halbes Mahd in derMieschmatten von Daniel und Hans Jakob Holtzer von Gurzelen um 18 1/2 Kronen. Ungefähr im Jahre 1700 enıvarb er um 500 Kronen 10 Jucharten Acker (genaues Datum und genaue

Ortsangabe fehlt). Am 14. Juni 1719 kaufte Gaudard von Jakob Bloch in Vinelz (als Vogt im Namen Peter Tribolets)1 Blätz Matten auf dem Berg, etwa 29 Mäss gross, um 11 Kronen.

Durch diese Zukäufe scheint sich der Besitz in der Oberen Budlei zu einem schönen Gut arrondiert zu haben. 1691 hatte Gaudard seinen Lehenbrief mit Anker abgeschlossen. Wurde dieser Lehenbrief stillschweigend verlängert? Dies geht aus den Akten nicht hervor. lmmerhin wird im neuen Vertrag von 1716 ein Lehenmann Rütschi erwähnt, der zwischenhinein das Gut bewirtschaftet haben muss. Den Vertrag von 1716 mit einer Dauer von drei Jahren schliesst Gaudard mit Bendicht Rüfenacht «von Meikilchen, diesmalen aber zu Oberlindach» ab. Der Lehenmann übernimmt <<Wägen, Pflug und andere zudienende Sachen, laut mit dem alten Lechenmann Rütschi bei Abzug des Lehens

geschehenen Würdigung und verglichenem Preis umb Zweihundert acht und fünfzig Cronen, Neün Batzen, Zwei Crützer››. Das Vieh betreffend sollen «nicht minder als fünfzehn Stück Viech und sechs Ross, wohl aber mehr» unterhalten werden. «Die ganze Nutzung von Zweyen Kühen, die er jährlich zu seinem Gebrauch vernambsen wird, während der Zeit, er oder Jemandes anders auf dem Guth sich in seinem Namen befinden wird››, behält sich Gaudard vor. Der Lehenzins beträgt jährlich fünfzehn Kronen. Da der Hinleiher bei der Gelobung vor dem Landschreiber abwesend war, wurde dem Kontraktenprotokoll ein Zettel mit der eigenhändigen Unterschrift Gaudards als Zustimmung

beigelegt.

Laut einem Nachtrag im Vinelzer Pfrundurbar von 1716 zinste er «von seinem Baumgarten nechst under seinen zweyen Strauwhäüßern gegen Lüschertz aben gelegen, stost sonnen an Tschagitts Müsli» (Tschuggitmösli).

Nach der Genealogie Gaudard soll Emanuel in der Budlei schlecht gewirtschaftet haben. Ob das ein Grund ist, dass nach einigen Jahren des Besitzes Gaudard fast nur noch als Verkäufer vorkommt? Das führte sogar so weit, dass er das ganze Gut verkaufen musste. Die neuen Besitzer sind die von Diesbach, ebenfalls Burger der Stadt Bern. Der Erwerb

durch Niklaus von Diesbach fand in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts statt. Der Erbe, an den das Gut überging, war Hans Rudolf von Diesbach (*1688). Er war Hauptmann in Piemont, quittierte den Dienst 1717 und kam ledig in den Grossen Rat. Neben der Budlei besass er das Landgut zu Sinneringen und einen Anteil zu Siselen. 1737 wurde er Obrist in piemontesischen Diensten und verkaufte die Obere Budlei an Samuel Henzi, ward Landvogt zu Romainmôtier und starb 1744 ohne direkte Nachkommen. Der Kaufpreis des Gutes betrug 16000 Pfund und 16 Louisdor Trinkgeld.

Samuel Henzi wurde am 19. August 1701 als Sohn des Pfarrers Johannes Henzi und der Catharina geb. Herzog in Bümpliz getauft. Als Vierzehnjähriger arbeitet er im Bureau der Salzkammer in Bern. Da er nicht zu den regimentsfähigen Geschlechtern der Stadt Bern gehört, ist ihm der Aufstieg in höhere Ämter versagt. Er wird Hauptmann in Diensten des Herzogs von Modena. lm Jahre 1743 wird er aus diesem Dienst entlassen, ohne den vertragsmässigen Halbsold weiterhin zu erhalten. Obschon sein Ansehen in der Stadt im Wachsen begriffen war- der Patrizier Friedrich Bondeli vertraute ihm die Erziehung und Bildung seiner Tochter Julie an - war Henzi verbittert. Er verfasste eine Denkschrift an die Regierung, in der er verlangte, der Staat Bern solle wieder zu seinen ehemaligen demokratischen

Grundsätzen zurückkehren, die es weitern Familien erlauben würden, an den Regierungsgeschäften teilzuhaben. Dafür wurde er für fünf Jahre aus der Eidgenossenschaft verbannt. In Neuenburg erwartete er mit seiner Familie eine Änderung seiner Sache mit dem Herzog von Modena. Nach vier Jahren (1748) wurde er begnadigt und konnte in die Stadt Bern zurückkehren. Wieder in seiner Vaterstadt, verband er sich schon nach kurzer Zeit mit Gabriel Fueter, Emanuel Fueter und Kaufmann Vernier, die ein Komplott gegen die Regierung planten. Obschon Henzi nicht der Anführer der Rebellen war, sich aber mit der politischen Vorbereitung befasste, bekam die ganze Affaire den Namen Henziverschwörung. Henzi selber zahlte diese Ehre mit dem Leben, indem er am 17. .Juli 1749 mit dem Schwert gerichtet wurde.

Henzi hatte also das Gut erworben, als er 1737 noch in Diensten des Herzogs von Modena stand, während er es im Jahre seiner Entlassung aus diesen Diensten wieder veräusserte, nämlich am 13. Juli 1743. Rund sechs Jahre war er also Eigentümer der Oberen Budlei, und doch blieb sein Name wie kein anderer an dem Besitze hängen, wird doch heute noch der dortige Brunnen «Henzibrunnen›› und auch das Gut oft noch «Henzigut» genannt. Neuer Besitzer der Budlei wurde Samuel Henzis Pächter, Peter Roth von Seedorf. Das Gut umfasste nun 58 Jucharten samt 36 Mannwerk Reben, den daraufstehenden Gebäuden und dem Hausplatz. Wie es zu dieser starken Landvermehrung kam,

ist nicht genau festzustellen. Aus Henzis Verkaufsvertrag geht weiter hervor, dass er neben dem Lehenmann einen Rebmann mit Namen Stucki gegen Lohn eingestellt hatte.

Die Kaufsumme betrug 12500 Pfund, die folgendermassen zu bezahlen waren: 8000 Pfund schuldet der Käufer Landvogt von Wattenwyl von Neuss (Nyon), welche er während zwei Jahren verzinsen soll, dann aber ablösen kann. Den Rest der Kaufsumme verspricht der Käufer dem Samuel Henzi in barem Gelde oder annehmlichen zinstragenden Schriften alsobald zu bezahlen. lm Jahre 1819 bescheinigt der Amtsschreiber und Notar Simmen von Erlach, dass diese Summen durch den Käufer abbezahlt worden sind.

Von 1743 bis 1898 wirtschafteten nun die Roth von Seedorf als Besitzer und Hintersässen von Vinelz. Der erste von ihnen verstarb im Jahre 1761. Wohl sein ältester Sohn, Peter, wurde 1739 geboren und starb ledig 1826 an Altersschwäche. Schon 1784 bearbeiteten drei Brüder, Peter, Johannes und Rudolf Roth, das Gut. Durch Teilung und durch Einheirat kamen die drei Häuser der Obern Budlei unter verschiedene Besitzer und sogar an andere Familien, so an die Bloch von Gurzelen. Die Kaufbeile vom 28. Februar und 4. März des Jahres 1898 setzt den Schlussstrich unter einen mehr als 150 Jahre dauernden Besitz der Familie Roth. Johann Jakob Roth, der damals das heutige Haus Dubler als letzter Roth bewohnte, verstarb im Jahre 1893 und hinterliess seiner Frau Margaritha

geb. Niklaus das genannte Haus mit dem zugehörigen Land. Dieser Besitz ging im Jahre 1898 nach dem Tode der Mutter an die vier Kinder Roth über. Alfred Roth war damals schon mehrjährig. Anna Marie, Johann Friedrich und Ernst Gottfried aber waren noch minderjährig. lhr Vormund, Gottfried Lauper, Landwirt im Rättli zu Seedorf, verkaufte das Gut im Einverständnis mit der Vormundschaftsbehörde von Seedorf an Alfred Fischer, Josephs Sohn, von Küttigkofen, wohnhaft in Gurzelen bei Lüscherz. Da der letzte Besitzer Roth am Haus verschiedene Umbauten hatte vornehmen lassen - er baute z. B. das Scheuerwerk - war das Haus verschuldet, und die hinterlassenen Kinder verliessen nach Erreichen der Volljährigkeit ihr väterliches Heim. Das Bauernhaus südlich des Strässchens (heute Haus Mäder) wurde 1851 neu erbaut.

Es scheint, dass sich die Burger von Bern, Biel, Neuenstadt und Erlach im 17./18. Jahrhundert um käufliches Land und die ländlichen Besitzungen förmlich rissen. Bei der Beschäftigung mit der Oberen Budlei fiel auf, wie häufig Parzellen gekauft, verkauft und eingetauscht wurden. Auch die Untere Budlei war ein herrschaftliches Gut. Es befand sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts im Besitz der Wildermeth von Biel, später der Fischer von Bern. 1793 verkaufte Alt Landvogt Gottlieb Fischer von lferten (Yverdon), Eigentümer des Engelberg bei Twann, an Pfarrer David lmer von Neuenstadt «die am See gelegene sogenannte untere Budlei um 7800 Pfund››. Gabriel Burkhard, Aarberger Schaffner, und Gabriel Rognon, Bieler Schaffner, beide zu Ligerz, erhoben Einspruch gegen diesen Kauf- «sie künden ihm den Zug an» -, glaubten also ein Vorkaufsrecht zu haben. Sie bekamen aber den Bescheid, dass ein solches Zugrecht nur Verwandten bis ins dritte Glied zustehe. Den endgültigen Entscheid in dieser Sache fällte das Deutsch- Commissariat in Bern, womit lmer Besitzer der Unteren Budlei wurde. Die lmer, ein altes Neuenstadter Geschlecht, waren unter anderem öfters Kastellane des Basler Bischofs auf dem Schlossberg. Nach Angaben von Oberrichter Andre lmer in Bern erbaute Pfarrer lmer das Haus in der Unteren Budlei am Waldrand aus den Steinen des aufgegebenen

Schlossberges neu. lm Jahre 1930 aber baute Louis-Philippe lmer das heutige Gebäude in der Unteren Budlei aus den Steinen des alten, also wiederum mit Material des Neuenstadter Schlossberges  Nach der Juragewässerkorrektion wurde das Land nach der Seeseite erweitert, doch ist der Strasse entlang noch die alte markante Seemauer erhalten. Die ausgedehnten Reben sind verschwunden. Heute ist die Untere Budlei im Besitz der Familie Schäublin und wird durch einen Pächter bewirtschaftet.

1974