Findlinge
a) Der Schallenstein Ins - Müntschemier
Weithin sichtbar liegt 75 Meter südlich der Strasse Ins-Müntschemier im freien Feld ein erratischer Block, der gut drei Meter über den Boden ragt und dessen sichtbarer Inhalt etwa 25 m3 misst. Der Findling stammt aus dem Wallis (Arollagneis) und ist vom eiszeitlichen Rhonegletscher liegen gelassen worden als einer der unzähligen «überaus großen und auch vil 100-Centnerigen harten Steinen, die man hin und her, an, in und neben denStraßen, in den Güeteren, Felderen und Wälderen antrifft und sihet underschidenlich hervorragen». Seitdem Abraham Schellhammer in den 1720er Jahren diese Worte geschrieben hat, sind im Interesse der Landwirtschaft und der Steinhauerei diese Blöcke zum grossen Teil verschwunden. Für unsere Gegend nennen wir als Zeugen den Entsumpfer des Seelandes, Joh. Rud. Schneider, der in seinem grossen Seeland-Buch 1881 geschrieben hat: «Diese Findlinge, welche man noch vor 40 Jahren zu Hunderten und Tausenden längs dem Jura und in der Ebene der Schweiz sehen konnte, verschwinden... von Jahr zu Jahr mehr und werden für unsere Nachkommen bald eine grosse Rarität sein.» Der Schallenstein ist heute eine Seltenheit und jedenfalls einer der wenigen Findlinge, die im offenen Land erhalten sind. Warum ist er verschont geblieben?
Wohl nicht aus Gründen des Naturschutzes; denn er wäre längst beseitigt gewesen, als sich im Jahre 1909 die «Kommission für Erhaltung erratischer Blöcke» erstmals um ihn kümmerte? Wir glauben, dass die Erhaltung des mitten in gutem Kulturland liegenden Findlings auf die besondere Bedeutung zurückzuführen ist, die dem Schallenstein zukommt.
Ein besonderer Stein . . _
Die früheste schriftliche Nachricht über diesen besondern Stein fanden wir in Jahn 1850 (S. 22); Er betrachtet den Findling, «welcher der Schallen- oder Challenstein heisst››, als «keltisches Alterthum». Das Volk halte ihn für verhext- «wahrscheinlich als Folge einer dunkeln Überlieferung von einem keltisch-heidnischen Kult, der sich an diesen Stein knüpfte››. ln seiner 1860 erschienenen Schrift (S. 2 Anm. 5) berichtet Jahn mehr vom «Schallenstein bei lns, der übrigens auch Salenstein, ursprünglich aber Solenstein heisst»: Er hat sagen gehört, dass der Stein sich einmal umdrehe, so oft die Sonne im Mittagspunkt stehe. Und als wahrscheinlichen Nachklang des alten heidnischen Sonnenkults gibt er die Strophe des Anzählreims wieder (vgl. unten):
«Schyn, schyn Sunne
z'Bern ufe Brunne
z‘Eis uf e Solestei
morn chunnt der Vater hei.»
... aber kein Schalenstein!
Auf Jahn 1860 bezieht sich dann E. L. Rochholz in seinem «Steincultus in der Schweiz» (Argovia 1862/63, S. 87), der das mittägliche Drehen des «Solenstein» erwähnt und beifügt: «auch Schalenstein genannt». Und von da an wird der Schallenstein immer wieder für einen Schalenstein gehalten und trägt leider auf der Landeskarte der Schweiz (1:25000 Blatt 1165) seit 1959 diesen Namen (s. S. 21 ). Glücklicherweise besitzt das Amt Erlach echte Schalensteine; aber so wie Jahn offensichtlich wegen des Sonnenkults den Namen Solenstein bevorzugte, so haben später die neu entdeckten und viel besprochenen Schalensteine (von denen Jahn 1850 noch nichts schrieb und die er erst 1860 erwähnte) diesen Namen in den Vordergrund gerückt.
ln seiner Arbeit «Über Schalen- und Gleitsteine» hat zwar L. Rütimeyer geschrieben,
es sei ihm bei seinem Besuche des von alten Leuten Heiden- oder Schalenstein genannten Blocks nicht gelungen, Schalen nachzuweisen. Umso mehr Bedeutung legte er dem Namen Heidenstein bei: «Der Name Heidenstein erinnert aber doch sehr, zumal bei dem auffälligen Anblick, den der ragende Stein auf dem ebenen Felde bietet, an eine alte Kultstätte.»
Tschumi 1953 hielt demgegenüber fest (S. 241): «... ist ein Schalenstein, obwohl die Schalen auf der Schrägfläche ausgewittert sind.» Für ein einstiges Vorhandensein von Schalen auf der Schrägfläche fehlt jeder Beweis, und wenn ein Verschwinden der Schalen durch «Auswittern›› anzunehmen wäre, gäbe es heute kaum noch Schalensteine. lm übrigen nennt Tschumi einzig den Namen «Solestein»; er gibt den Anzählreim in der Schreibweise von Jahn 1860 wieder und erklärt dazu: «ln diesem Vers wird der Name Solestein festgehalten, der auf einen Sonnenkult hinweist, und die Sonne noch besonders angerufen.»
Was Emanuel Friedli vor 60 Jahren über den Stein erfuhr lm «Bärndütsch»-Band lns (1914, S. 51f) nennt Friedli als «hauptsächliche ja heute einzige Bezeichnung» den Namen «Schalenstein», und fügt bei: «Die inserischen Umformungen dieses Namens: Sallestäi, Sollestäi, Sollerstäi reden wohl von verdunkelter Vorstellung der Schale.» Wir glauben schon deshalb nicht an diese Deutung, weil - wie wir gesehen haben - Schalenstein ein junger Name ist, und weil in Urbarien und auf Plänen
fast durchwegs «Schallenstein» geschrieben wurde (s. nächster Abschnitt). Freilich brauchen nicht unbedingt die «klassischen» Schalen zum Namen geführt zu haben: Der lnser Oberlehrer Fritz Probst (1881 daselbst geboren) hat dem Verfasser im Herbst 1946 erklärt, als Knabe habe er geglaubt, der Name komme von der rinnenartigen Stufe, die wie eine Strassenschale über den Stein hinauf führe; heute nehme er an, der Name
komme von der Schale oben auf dem Stein, die eine Opferschale sein könnte. Wir halten diese =« Schale» jedoch gleich wie die grosse Rinne für eine Vertiefung natürlicher Art, die auf die Struktur des Steins und nicht auf Menschenwerk zurückzuführen ist, und einzig das 6½ cm weite und mindestens 8 cm tiefe Bohrloch oben mitten auf dem Stein ist künstlich (s. S. 32). Von der «Chrinne», durch die man hinabrutsche, schreibt auch Friedli, desgleichen von der «obersten Schale», in der von den Buben jeweils soldatenmassig «g`chöcherlet» werde. Friedli erzählt eine Überlieferung, die sich mit der Herkunft des Findlings befasst: Ein Riese sei mit seinen Siebenmeilenstiefeln vorbeigegangen. «Är het a de Zeefe (Zehen) gäng aso öppis wi n' es Stäinli g'spüürt u nid g'wüsst, was das o isch, bis er entlig der Holzbööde (Holzschuh) abzooge un uusgleert het. Du isch du das der Sallestäi gsii, wo uf em Müntschemierfäll ligt.» Ferner erfuhr Friedli die Sage, dass sich «der Sallestäi allimal chehrt, wenn er g'chöört Mittag lüte». Ein lnserknabe sei einmal eigens auf das Müntschemierfeld gegangen, «für ga z'luege, göb es de so siig». Dem Spott seiner Kameraden sei er dann zuvorgekommen mit der Ausrede:
«Jää, der Stäi häig's nid chönne g'chööre, der Luft häig's Lüte verweeijt.» Schliesslich bringt Friedli auch den Riti-Rössli-Vers, und zwar in anderer- und sicher zuverlässigerer Schreibweise als Jahn:
«Schiin, schiin, Sunne, Moorn chunnt üüse Vatter hai,
Z'Bern über e Brunne, Bringt mier es Weggli häi
z'Eiß über e Sallestäi! U dier e schüübel Dräck a ds Bäi.»
Daneben erwähnt Friedli mit Bezug auf Jahn 1850 die Verhextheit sowie den Namen
«Häidestäi».
F. Probst hat weder vom Namen Heidenstein, noch von dem Drehen des Steines, noch von der Riesenlegende gehört. Einzig den Anzählvers kannte er von Kind auf.
In alten Plänen und Urbarien: Schallenstein
Wenn wir in den vorangehenden Abschnitten gesehen haben, wie unter dem Einfluss von
Erklärungsversuchen der Name Schallenstein einerseits zu Solestein, anderseits zu Schalenstein pendelte, so muss uns umso wichtiger sein, wie der Stein bzw. das nach ihm benannte Feld in den alten Urbarien und in Plänen benannt ist:
1525: «zu Schallen Stein ein Jucharten››, «eine Juchart acher genannt Schallensteim, «einen acher genannt Schallenstein»
1533: «halbe Juchartten gelegen zu schallenstein»
1678: «ein Jucharten bim Schallenstein»
1782/84: auf genauen Plänen ist der Findling eingezeichnet und der Name «Schallenstein»
dazu geschrieben. Die Flur ist auf den Plänen bezeichnet: «Beym Schallen Stein», und im zugehörigen Urbar steht immer wieder: «Beym Schallenstein».
Durchwegs steht also «Schallenstein», und auch im neuzeitlichen Grundbuch und in den Katasterplänen hat die Flurbezeichnung «Beim Schallenstein» Aufnahme gefunden (auf
Plan 15, erstellt 1872, als «errat. Block» eingezeichnet). Auf der Siegfriedkarte war ab
1879 der Block immer als «Err. Bl.» bezeichnet und der Flurname «Schallensteinfeld» geschrieben. Beim Erstdruck der Landeskarte, 1956, fiel der Flurname weg und zum Findling wurde der Name «Schalestein» gesetzt, der 1959 zu «Schalenstein» verschlimmert wurde.
Wie heisst er heute bei den alten Insern?
Als wir im Herbst 1946 den für das «Eisserdütsch» besonders zuständigen Lehrer Fritz Probst (1881-1968) fragten, wie der Findling heute genannt werde, gab er uns keine eindeutige Antwort. Der Name laute meist «Schaalestäi» oder «Sallestäi», weniger auch «SchaIlestäi» oder «Saalestäi». Als er im Seebutz-Kalender 1951 über den roten Stein zu
Ins berichtete, schrieb er, dass dieser von vielen Auswärtigen verwechselt werde «mit em sogenannte Schalestäi oder Sallestäi.»
Diese schwankende Namengebung ist auch heute noch festzustellen, doch sagen alte lnser meist «Sallestäi››, wobei der a gegen o hin lautet und der ä gegen e. Bei jüngern hört man eher «Salestei» oder «Schalestei». Wenn die bernische Nomenklaturkommission «Schalestei» aufgenommen hat, so stützte sie sich auf den angesehenen F. Probst- der sich vielleicht selber von seiner Erklärung des Namens (s. hiervor S. 20) etwas hat leiten lassen. Sein Kollege, a. Sekundarlehrer Alfred Anker, *1892, hätte jedenfalls eindeutig für «Sallestäi» plädiert.
Wir möchten es wagen, für die Namensform «Schallenstein» zu werben, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Weil er in den Urbarien und Plänen seit alters so heisst;
b) weil uns für Schallenstein eine Namendeutung vertretbar scheint (siehe den folgenden Abschnitt), während für Sallestein die Erklärung mit dem mittelhochdeutschen salhe kaum in Betracht kommt für das trockene Feld, auf dem der Stein liegt;
c) weil «Schalestei» immer wieder das alte Missverständnis weckt, es handle sich um einen klassischen Schalenstein, d. h. um einen Stein mit Schalen.
Bedeutung des Namens Schallenstein
Unzweifelhaft hat es einen Steinkult gegeben, der sich in der christlichen Zeit lange zu behaupten wusste. Nicht grundlos eiferte z.B. der Kirchenvater Hieronymus (331-420) «gegen diejenigen, welche den Schöpfer nicht kennen und Steine anbeten››, und zahlreiche Konzilsbeschlüsse beweisen, wie zäh der kirchliche Kampf war gegen die Steinverehrung. Karl der Grosse verordnete im Jahre 789, dass alle als Ketzer zu betrachten seien, die sich der Entfernung dieser Steine widersetzten. Aber die Zerstörung und Beseitigung aller verehrten Steine erwies sich als unmöglich, und die Kirche musste sich schliesslich damit begnügen, sie zu diffamieren als Hexensteine, Teufelssteine oder Heidensteine. Und schliesslich ging sie dazu über, alte Kultsteine zu verchristlichen, indem man sie mit einem Kreuz versah oder in Prozessionen einbezog oder gar zum Bestandteil von Kirchen und Kapellen machte.
Wir halten es nun für möglich, dass auch unser schön gelegener Block in einen Flurumgang einbezogen worden wäre. Und wenn in der Strättliger Chronik aus dem 15.Jahrhundert zu lesen steht, wie man «mit crützen und anderm heltuom, kerzen und schallen» auf Prozession ging, so liesse sich wohl denken, dass die «Schallen» (= Schellen) von dem alten Kultstein aus, wo man anhielt, in alle Weite ertönten. Der Stein, von dem aus die Schallen so weithin erklangen, wäre dann Schallenstein genannt worden. Wir hätten damit ein Gegenstück zu dem auch im Seeland (Gampelen, Gals, Mörigen) verbreiteten Ortsnamen Schallenberg, den J. U. Hubschmied so deutet, dass vom Berg aus Glockenschall ertönte.
Zur Stützung für unsere Deutung des Schallensteins als Station eines Flurumgangs erwähnen wir den Flurnamen Schallenkreuz, der zwar heute nur noch vereinzelten alten Leuten bekannt, aber in den Grundbüchern und Plänen eingeschrieben ist (lns Plan 47).
Die Grundstücke mit dem Namen «SchaIlenkreuz» liegen an der Grenze gegen Vinelz östlich der Strasse Ins-Erlach, südlich der Abzweigung der Strasse nach Vinelz bei Punkt 447. «Bey dem Schallen Crüz unterem St.Jodel›› heisst es auf einem Entwurf zum grossen Plan von 1786 und auf diesem selber «Bey dem Schallen Creüz»“. Dass auf Prozessionen bei einem Kreuz angehalten wurde und die Schallen von diesem Hang aus weithin klangen, ist sogar glaubwürdiger als der Halt bei einem Stein. Für beide aber, für «Schallenstein» und «Schallenkreuz» als Stationen beim Flurumgang spricht ihre Lage nahe der Gemeindegrenze.
Es fehlen uns Beweise für diese Namensdeutung, die zudem nicht auf den ursprünglichen Kultstein zurückgeht, sondern bloss auf seine spätere Verchristlichung - und auch für diese fehlen uns Belege.
Wir müssen uns damit begnügen, ein Beispiel aus Halle zu erwähnen: Mitten im Felde bei Dölau erhebe sich ein über fünf Meter hoher Heidenstein: «Die drei Prediger der umliegenden Ortschaften hatten -wie mir gesagt ist-früher und bis in neuere Zeit die Verpflichtung, abwechselnd an diesem Steine jährlich eine Predigt zu halten, welcher Gebrauch ein Nachklang aus heidnischer Zeit war und auf die Heiligkeit dieses Steines in uralter Zeit hindeuten mag.» Wenn wir auch keine solcheNachrichten über den Schallenstein besitzen, so spricht doch die Tatsache seiner Erhaltung mitten im Kulturland dafür, dass er als besonderer Stein erachtet wurde, an den man nicht Hand anlegen wollte.Der staatliche Schutz
lm Frühling 1909 besichtigte Dr. Ed. Gerber, der Präsident der soeben gegründeten «Kommission für Erhaltung erratischer Blöcke im Kanton Bern», den Schallenstein. Er war beeindruckt von der Lage des Findlings inmitten des schönsten Ackerlandes und erachtete deshalb den Fortbestand als gefährdet. Daher setzte er sich mit seinem Seminarkameraden, Lehrer Blum in Müntschemier, in Verbindung. lm nächsten Jahresbericht lesen wir, «dass die Anstrengungen zur Sicherung des Schallensteins erfolglos blieben».
Der bäuerliche Grundeigentümer wollte sich nicht irgendwie binden lassen, gab jedoch die Zusicherung, dass er den Stein nicht antasten werde. Er hat dieses Wort gehalten - und vielleicht war dabei eine dunkel nachklingende Ehrfurcht für den besondern Stein massgebender als naturschützerische Einsicht.
ln den Vierzigerjahren hat sich dann die regionale Naturschutzkommission des Seelandes erneut um den Schutz bemüht. und nachdem in sehr einsichtiger Weise der Landwirt Walter Füri einer Aufnahme ins Verzeichnis der staatlich geschützten Naturdenkmäler zugestimmt hatte und zwar ohne jede Entschädigung -, konnte der Regierungsrat am 17. Dezember 1946 den Schutzbeschluss fassen.
Das Naturschutzinspektorat war über diese Massnahme froh. als im Jahre 1963 die Projektierung der Gesamtmelioration lns – Gampelen - Gais aufgenommen wurde. Das unveränderte Belassen des Schallensteins an Ort und Stelle war damit gewährleistet.
1977