Das Haus mit den Sprüchen in Diessbach

Diesmal treffen wir uns in Diessbach bei Büren, gerade bei der Kirche. Der Weg ins Gäu, wo das Haus steht, ist nur kurz und sollte eigentlich den Start bilden zu einem ausgiebigen Spaziergang durch das Dorf. Das kundige Auge entdeckt an den älteren Gebäuden so viele Detaails aus früherer Zeit, - manches allerdings halb versteckt von neuzeitlichen An- und Umbauten – dass die aufgewendete Stunde als gut angelegt bezeichnet werden darf.

Von der Kirche weg führt unser Weg vorläufig gute hundert Meter Richtung Schnottwil, worauf wir nach rechts abbiegen. Wer’s mit dem Atem zu tun hat, der schlage eine gemächliche Gangart an; denn es geht aufwärts. Allerdings nicht lange, schon links ist unser Ziel, das Haus mit den Sprüchen. Gebaut wurde das kleine Bauernhaus im Jahre 1794, vier Jahre vor dem Einfall der Franzosen. Es ist gut erhalten, Gebäude und Umgebung sehen gepflegt aus.

Wenn wir von der Südseite nähertreten, entdecken wir in den Füllungen über den Fenstern, - nicht mehr so gut sichtbar wie nach der Renovation von 1938, - eine Reihe von Sprüchen in reich verzierter gotischer Druckschrift. Da es nicht jedermanns Sache ist, diese Schrift zu entziffern und mancher eilige Leser nicht Zeit zu haben glaubt für die paar Minuten der Konzentration. Lassen wir den Bildern jeweilen den Text folgen. Wir beginnen links, also im Westen und zitieren die Sprüche der Reihe nach Richtung Haustüre.

1.Feld: Wer Baut an die Strassen,
                der muss sich Tadlen lassen
                wann Einer denckt an sich,
                der Tadlich nicht mich

2.Feld: Ach Gott thun uns allen
                geben, das wir auf Erden aalso
                leben, das wir nach dieser Zeit
                Mögen Himmels Bürger werden.

3.Feld: Frölich wann ich kann, Traurig wan
                ich muss.Allzeit Frölich ist gefährlich,
                Allzeit Traurig ist Beschwerlich,
                Allzeit Auffrichtig das Ehrlich

4.Feld: Aller Menschen Sinn und Muth,
                Steht nur auf Reijchthum Ehr und Zeitlichen
                Guth Und wann sie das Erwerbben, So
                Ligen Sie Nieder und Sterben.

5.Feld: Im Anfang deines Thuns,sollt du das
                End bedenken.Denn nach der Thatwirst
                du dich nur Vergeblich Kränken.Des Nächsten
                Fehler lass dir Zur Lehr gereichen.

6.Feld: Haus Meisterleüt sind Bendicht
                Schnider Und Maria Schnijder,
                ein gebohrne Burri von Eij,Kirchen-
                speil Krauchthal.Samstag den 25.weinmo 1794

Zwei Dinge dürfen wir Menschen des ausgehenden 20.Jahrhunderts, wir Zeitgenossen der wachsenden grauen Betonwüsten, beim Anblick solcher Schmuckstücke bedenken:
Wie so ganz anders dachten doch unsere Vorfahren in Bezug auf schönes Gestalten ihrer bescheidenen Häuser. Fensterbänke, Tür- und Fenstergewände, Laubenbrüstungen wurden mit einer eindrücklichen Selbstverständlichkeit beschnitzt oder ausgesägt, Türfüllungen, Ründinen, ganze Speicher bemalt. Wer hätte nicht schon gehört von den beschnitzten Bügen? Die Lokalforscher sagen uns, dass solche künstlerisch gestalteten Bauteile vielfach dem Bauherrn von den Nachbarn geschenkt worden seien. Man baute nach dem Grundsatz: Was verdient, gebaut zu werden, das verdient auch solid und schön gebaut zu werden.

Und zweitens gab es Handwerker, die befähigt und gewillt waren, nicht nur solid, sondern auch gediegen und mit reichem Schmuck zu gestalten. Was ihre Werkstatt verliess, das musste ihrem Schönheitssinn entsprechen. Solche Handwerker gäbe es heute noch, aber wenn sie nicht verhungern wollen, müssen sie dem Zeitgeist entsprechend arbeiten, da niemand gewillt wäre, künstlerische Qualitätsarbeit nach dem Zeitaufwand zu bezahlen.

Zahlreiche Beobachtungen lasseen uns vermuten, dass vor allem Maler, Schriftkünstler, welche fähig waren, solche Schrifttafeln wie die am Haus im Gäu, oder auch Ofenkacheln, zu gestalten, ihr Gewerbe im Umherziehen, also auf der Wanderschaft, ausübten.

Im Laufe der Zeit ging dieser Drang nach dem Schönen, Gediegenen, dies Schmucklust, verloreen. Neues wurde, weil sonst zu teuer, nicht mehr zusätzlich für das Auge angenehm, sondern nur noch solid gebaut, bis auch dem Soliden wenig Verständnis mehr entgegengebracht wurde. Man blickte nach Amerika, wo ein Grossteil der ländlichen Häuser nur noch für eine, höchstens 2 Generationen kostruiert wird, so gewissermassen als Übergang zum totalen Wegwerfzeitalter.