Der «Dachsenstein» bei Brüttelen


Ein Findling, dessen Schutz erzwungen werden musste. Keiner der 172 Findlinge oder Findlingsgruppen, die bisher im Kanton Bern staatlich geschützt worden sind, besitzt eine so bewegte Schutzgeschichte wie der «Dachsenstein» bei Brüttelen. Diese Bedeutung hätte er nie erlangt, wenn nicht das Niederhölzli auf dem flachen Hügel an der Strasse zwischen Brüttelen und Hagneck zur kriegswirtschaftlichen Zwangsrodung im 2. Weltkrieg verurteilt worden und damit der Findling insoffene Land zu liegen gekommen wäre.

Bei keinem andern Findling hat der Regierungsrat sein Recht einer provisorischen Unterschutzsteilung ausgeübt (5. Mai 1944), und in keinem andern Falle ist es nötig gewesen, dass auf Ersuchen der Forstdirektion der Regierungsstatthalter durch die Polizei dem Grundeigentümer eröffnen musste, dass am Block nichts verändert werden dürfe. Warum wollte die Gemeinde Brüttelen als Grundeigentümerin diesen Stein unbedingt beseitigen - und warum ist sein Schutz mit so seltenem Aufwand durchgesetzt worden?

«Diesen Stein sofort zu entfernen»Die Gemeinde Brüttelen hatte guten Grund, die Beseitigung des Findlings zu fordern. Der Gemeinderat schrieb am 20. Mai 1944 an den Regierungsrat: «Wenn wir schon notgedrungen gezwungen wurden, dieses schöne, ideal gelegene Waldgebiet der Rodung zum Opfer fallen zu lassen, dann möchten wir uns auch nicht dem Zwange aussetzen, nun mitten in dieser Fläche einen Stein zu lassen. Jedes nur erdenkliche Stückchen Land soll nutzbar gemacht und dem Mehranbau zugeführt werden, und ausgerechnet in diesem Moment soll man einem solchen, unseres Erachtens noch häufig vorkommenden Steine den Vorzug geben und ihm einen Platz einräumen, damit wohl ringsherum alles von den Menschen verstampft würde. Dass sich die ganze Dorfbevölkerung über diese Angelegenheit aufhält und empört ist, verwundert uns nicht im geringsten, hat doch dieGemeinde Brüttelen in ihrer Versammlung vom 1. April 1944 mit Mehrheit beschlossen, diesen Stein sofort zu entfernen.»

«. .. dass er unbedingt erhalten werden sollte»So steht es im Antrag der kantonalen Naturschutzkommission vom 11.April 1944, dem die Forstdirektion und der Regierungsrat stattgegeben haben. Begründet wurde der Schutz in erster Linie mit der Tatsache, dass es sich um ein sehr charakteristisches Gestein handle, dessen Herkunft genau festzustellen sei: einen Diallag-Gabbro aus dem Saastal (Allalingebiet). Der Vizepräsident der kantonalen Naturschutzkommission, Dr. Ed. Gerber, bekannte in seinem Gutachten freimütig, dass er dem Wunsch nach Sprengung des 11/2 m aus dem Boden ragenden und etwa 20 m3 messenden Blocks entsprochen hätte, wenn er aus gewöhnlichem alpinem Gestein wäre; da es sich aber umeinen seltenen Findling handle, deren Heimat genau bekannt sei, müsse er erhalten bleiben.Ed. Gerber gab sich grösste Mühe, den Gemeindepräsidenten von Brüttelen anlässlich eines Augenscheins und anschliessend am 28. März 1944 den Gemeinderat in einem langen Brief von der Schutzwürdigkeit des Findlings zu überzeugen. Dass dies nicht gelungen ist, beweist die zitierte Eingabe der Gemeinde. Die Brütteler hatten nicht nur Ursache, über die ihnen auferlegte Zwangsrodung und den gleichzeitigen Widerspruch zwischen Landhunger für den Mehranbau und Landverschleiss zugunsten eines Steins erbost zu sein. Sie bereuten es wohl hintenher auch, dass sie so loyal gewesen waren und in Bern um eine Bewilligung für die Sprengung überhaupt nachgesucht hatten.

Ohne dieses Gesuch, das am 14. März 1944 beim kantonalen Vermessungsamt eingereicht wurde, hätten sie den Stein in aller Stille beseitigen können. So aber wurde durch Überweisung des Gesuche an die Forstdirektion die kantonale Naturschutzkommission auf den Plan gerufen - die dann gehandelt hat. Dem Protokoll dieser Kommission ist zu entnehmen, dass ihr der Stein durch einen Zufall bekannt geworden ist: ein Bauer habe dem Gemeinderat erklärt, sie dürften nicht ohne Bewilligung sprengen. Zwei Gründe berechtigen uns zur Annahme, dass dies F. Graden in Siselen war; denn dieser hat Ed. Gerber zusammen mit dem Gemeindepräsidenten von Brüttelen bei der Besichtigung des Findlings begleitet, und er war es auch, der einen Schalenstein im gleichenNiederhölzli entdeckt hatte (s. S.38›).

Der endgültig geschützte «Dachsenstein››Nach dem provisorischen Schutzbeschluss vom 5. Mai 1944 erhielt die kantonale Naturschutzkommission den Auftrag, die definitive Unterschutzstellung vorzubereiten. Sie nahm die Verhandlungen mit der Gemeinde Brüttelen wieder auf, wobei es nun um eine Entschädigung ging, die von allem Anfang an in Aussicht gestellt worden war. Man einigte sich etwas mühsam. Am 9. November 1944 unterzeichnete der Gemeinderat von Brüttelen eine Erklärung, worin er die Zustimmung zur endgültigen Aufnahme des «Dachsenstein» in das Verzeichnis der Naturdenkmäler erteilte gegen eine einmalige Entschädigung von Fr. 400.-; in dieser ist das Recht eingeschlossen, dass jedermann, der ein naturkundliches Interesse glaubhaft macht, Zutritt hat zu dem Stein unter möglichster Schonung der Kulturen.

Am 12. Januar 1945 wurde der «Dachsenstein» durch den Regierungsrat endgültig geschützt. Seither fristet der Findling sein Dasein mitten im offenen Ackerland, und die Brütteler haben sich mit dem Naturdenkmal abgefunden. Den Namen «Dachsenstein» hat ihm übrigens auf Vorschlag von Ed. Gerber die kantonale Naturschutzkommission verliehen unter Berufung darauf, dass er «schon teilweise» so genannt worden sei (wie die zahlreichen «Fuchsensteine», die wegen der unter den Stein gegrabenen Höhlen so heissen). Mit diesem Namen steht der «Dachsenstein» auch an volkskundlicher Bedeutung zurück gegenüber dem «Schallenstein» und der «Teufelsbürde». Vor der Zwangsrodung scheint sich kaum jemand um den «Dachsenstein» gekümmert zu haben, und erhat niemanden gestört. Die zwei grossen Spalten, die den Block in drei Teile gliedern, sind jedenfalls nicht Menschenwerk, sondern damals entstanden, als der Block im Saastal auf den Gletscher niedergestürzt ist. Von der Hand des Menschen zeugt einzig ein senkrechtes Loch von knapp 5 cm Durchmesser, das 1/2 m von der Westkante entfernt auf der Blockoberfläche zu sehen ist. Hat man den Block einst sprengen wollen, um sein Gestein zu verwerten - und erwies sich dieses als zu hart? Oder sollte das Bohrloch auf irgend einen andern Zweck zurückzuführen sein? Zu solchen Vermutungen könnte man durch die Tatsache verleitet werden. dass sich auch oben auf dem «Schallenstein» ein ähnliches Bohrloch findet. Dann wäre vielleicht auch der Brütteler-Findling nicht zu allen Zeiten ein nichtssagender Stein gewesen - und seine Erhaltung umso mehr gerechtfertigt.