Das Denkmal von Büetigen

Wer von Studen nach Büetigen spaziert, der erblickt nach dem ersten Hause auf der linken Strassenseite einen mauerähnlichen Denkstein, der von bösen Mäulern etwa spöttisch als «Denkmal an die Schlacht von Büetigen» bezeichnet wird. Schon das Relief auf der Frontseite, einen pflügenden Bauer mit seinen Pferden darstellend, und noch deutlicher die knappe Inschrift belehren den Staunenden eines Bessern:

RODUNG . ENTWÄSSERUN G . GÜTERZUSAMMENLEGUNG
BUSSWIL _ BÜETIGEN . DOTZIGEN . DIESSBACH
1945 . 1952

Das nicht zu vergessende Ereignis liegt also kaum 25 Jahre zurück und besteht nicht aus einer blutigen Auseinandersetzung, sondern aus dem sieben Jahre dauernden Grosseinsatz einer ganzen Gegend, zur Verbesserung der engem Heimat. Falls das Denkmal von Bildhauer H. Walther, Solothurn, nicht davon künden würde, wer weiss, schon die nächste Generation wüsste kaum mehr etwas von den jahrzehntelangen, gemeinsamen Arbeiten um die Entwässerung des landwirtschaftlich genutzten Bodens, um den kilometerlangen Aushub neuer Wege; schon eher unvergessen dürften die wiederkehrenden finanziellen Leistungen, berechnet auf die Are Land und die zähen Auseinandersetzungen bei der Neuverteilung des meliorierten Bodens sein.

Eine beträchtliche Zahl jener Männer, welche mit ihrem Einsatz das grosse Werk durchführen halfen, deckt bereits die Erde, die übrigen sind inzwischen alt geworden und ihre Erzählungen tönen der neuen Generation fast unglaubwürdig. Jedenfalls ist männiglich der Ansicht, dass ein derartiger Einsatz der letzten Kräfte heute gar nicht mehr möglich wäre, selbst wenn Bund, Kanton und Gemeinden in gleichem prozentualen Anteil in den Beutel griffen.

Wer heute die wohlgepflegten, allseitig mit Wegen erschlossenen, trockengelegten Fluten durchschreitet, der kann sich den Zustand des Jahres 1944 auch nicht im Entferntesten mehr vorstellen. Verschwunden sind die standen bewachsenen Dickichte, die murmelnden Bächlein und sumpfigen Stellen, vergessen die unförmigen Äcker, die Not der fehlenden Wege und unzähligen Tretrechte, die fast 200km Marchfurchen, welche den Landverlust in der Grösse eines mittleren Heimets darstellten.

Über den Ursprung der so ungünstigen Grundstücksformen und der weitgehenden Zerstückelung hat sich 1936 der damalige Landwirtschaftsdirektor Hans Stähli im bernischen Geometerverein wie folgt geäussert:

«Der heutige Zustand des Bodenbesitzes ist das Endprodukt einer Jahrhunderte langen Entwicklung. Bestimmend waren zunächst die Dorfsiedlung, die Dreifelderwirtschaft und im letzten Jahrhundert der Gedanke der Realteilung, wie er im 'Code Napoléon' festgelegt ist. Die fränkische Markgenossenschaft hatte die Dreifelderwirtschaft mit Flurzwang zur Folge, die mit dem Zuwachs der Bevölkerung eine grosse Vermehrung der Parzellen mit sich brachte. Dementsprechend haben wir im gesamten Ackerbaugebiet des Jura, im Seeland und im Oberaargau eine recht grosse Bodenzerstückelung, die durch den Mangel an Wegen und durch ungünstige Grundstückformen umso nachteiliger wirkte.

Die grösste Zerstückelung finden wir im Jura, namentlich in seinen Ackerbaugebieten. Aber auch in den Ämtern Büren, Erlach, Nidau, Aarberg, Wangen und Fraubrunnen haben wir eine weitgehende Bodenzersplitterung»

Schon im Jahre 1932 wurde festgestellt, dass die Vermarchung bei zirka 80% aller Grundstücke im oberen Bürenamt erneuerungsbedürftig wären. Man stand vor der schweren Frage, ob eine Marchrevision durchzuführen sei, was angesichts der sehr starken Zerstückelung und der überaus schlechten Wegverhältnisse als wohl kostspielige, aber rein konservative Massnahme bezeichnet werden musste, oder ob die noch teurere aber dauerhafte Lösung der Güterzusammenlegung gewählt werden sollte. Mit echt bernischem Sinn für das Echte und Dauerhafte entschied man sich

für die Güterzusammenlegung.

Geometer Werner Mülchi in Büren wurde beauftragt, ein generelles Projekt für die Melioration des ganzen Gebietes aufzustellen. Doch überzeugenden Erfolg hatte man vorläufig nicht. Die Gegnerschaft war viel zu gross, denn selbst <<oben›› tagete es nur langsam. Regierungsrat Stähli erzählte, dass zu jener Zeit, als er selber auf der Rütti die Schulbank drückte, dort die Auffassung herrschte, «im Kanton Bern komme die Güterzusammenlegung eigentlich nicht in Frage››.

Zudem wies man immer wieder auf die organisatorisch missglückten Güterzusammenlegungen im Gürbetal hin, welche nach dem ersten Weltkrieg im Zusammenhang mit Entsumpfungen durchgeführt worden waren und zu schwersten Verschuldungen der beteiligten Grundbesitzer geführt hatten. Erst der Zweite Weltkrieg mit seinen Ernährungssorgen, dem steigenden Personalmangel und der sich abzeichnenden Motorisierung führte zum Gesinnungswechsel.

Am 5. Juli 1944 konnte eine Flurgenossenschaft gegründet werden. Die Perimeterfläche umfasste 684 ha, welche sich auf 333 Grundeigentümer verteilten. Den Beitritt erklärten allerdings nur 195 von ihnen mit einer zu meliorierenden Fläche von 469,1 ha. Das genügte aber gemäss Art. 87, Absatz 2 des Einführungsgesetzes zum ZGB vollständig, denn dieser Absatz schreibt vor:

«Wenn die Mehrheit der beteiligten Grundeigentümer, denen zugleich mehr als die Hälfte des beteiligten Bodens gehört, der Bildung einer solchen Flurgenossenschaft zustimmt, so sind die übrigen Beteiligten zum Beitritt verpflichtet »

Keiner konnte also beiseite stehen. Wer Boden besass innerhalb des Perimeters, der wurde Mitglied, entweder freiwillig oder mit Zwang.

Ein Vorstand von 17 Mitgliedern unter dem Präsidium von Johann Bangerter, Landwirt in Busswil, wurde mit der Leitung der Geschäfte betraut. Es ist sicher, dass keiner dieser Männer von Anfang an über den Umfang der Aufgabe im Klaren war.Uns Heutigen gibt selbst die Schlussabrechnung nicht annähernd einen Begrif von der Unsumme von Arbeit, Ärger und Zeitverlust, die sich hinter den nackten Zahlen türmen. Ist doch die Kaufkraft unseres Geldes seither immer rascher und rascher gesunken. Zu Beginn der Meliorationsarbeiten im Jahre 1945, zahlte man einem Erdarbeiter einen Stundenlohn von Fr. 1.50. Die ständige Arbeitsequipe zählte bis zu 70 Mann, alles Schweizer. Die ganze Bausumme würde sich heute kaum unter zehn Millionen Franken bewegen.

Bei einer Güterzusammenlegung wirft, bildlich gesprochen, jeder Teilnehmer seine Parzellen in einen gemeinsamen Topf, aus welchem das entwässerte und auch sonst verbesserte Land, - nach Absteckung des neuen Wegnetzes und Erstellung der Vorfluter, in weniger aber dafür viel grösseren Stücken neu verteilt Wird.

Im oberen Bürenamt wurde das bisherige Wegnetz, weil untauglich, zum grossen Teil aufgehoben. Zur Aufnahme des Wassers aus den Drainagen mussten Vorfluter geplant werden. Das Zusammenlegungsgebiet wird in Nord-Süd-Richtung vom Büetigenbach durchflossen. Rechtwinklig in diesen mündet von Busswil her der neu erstellte Bahnkanal. Ein grosser Teil der Abwässer konnte in diese beiden Kanäle geleitet werden. Einzig für die Entwässerung des östlichen Gebietes musste als weiterer Vorfluter der Eichibach in Anspruch genommen werden. Für Büetigenbach und Bahnkanal wurde erstmals in dieser Gegend ein Bagger eingesetzt; alle andern Grabarbeiten wurden von Hand ausgeführt.

Ein paar wenige Zahlen sollen Kunde geben von der Grösse des Unternehmens.

Es wurden gebaut:

66,3 Kilometer Drainageleitungen

7,4 Kilometer Zementrohrleitungen

198 Kontrollschächte

6 Brücken

38,3 Kilometer Wege

7,8 Kilometer Wege wurden instand gestellt und neu bekiest.

Jeder Kulturlandbesitzer hatte nach Beendigung des ganzen Werkes weniger aber grössere Parzellen, die alle oben und unten an einen Weg stiessen. Die Bearbeitung mit Maschinen war damit in jedem Falle möglich. Weniger Parzellen bedeutet überdies weniger Zeitverlust auf den Anmarschwegen. Die Güterzusammenlegung erwies sich damit als erster Schritt zur Arbeitszeitverkürzung in der Landwirtschaft.

Die Neu-Einteilung hatte zur Folge, dass die Gemeindegrenzen nicht mehr den Grundstückmarchen entlang verliefen, wie es das Gesetz vorschrieb. Es war also zugleich mit den übrigen Arbeiten eine Gemeindegrenzregulierung durchzuführen.

Mit Regierungsratsbeschluss vom 10.April 1953 konnten die neuen Grenzen genehmigt werden.

Der Schlussabrechnung von Bauleiter Mülchi ist zu entnehmen, dass die gesamten Baukosten
Fr. 1 833 232.70 betrugen. Den Mitgliedern konnte der enorme Betrag von Fr. 423 087.30  für eigene Arbeiten gutgeschrieben werden.

Heute ist ein Vierteljahrhundert seit dem Abschluss der Arbeiten verflossen. Die vielverwünschten Pappeln dem Büetigenbach entlang gehören zum vertrauten Landschaftsbild und sorgen dafür, dass man vom meliorierten Gebiet nicht den Eindruck einer trostlosen Kultursteppe erhält. Die ganze Anlage hat sich bewährt. Sie erlaubt eine viel intensivere Bewirtschaftung des vorhandenen Kulturbodens. Die Bitternisse, welche jedes derartige Werk unvermeidlich bringt, sind zum grossen Teil überwunden, Für viele Landbesitzer ist eine Zusammenlegung ein schwerer Eingriff in ihr privates Eigentum, wobei mancher auf ein besonders geschätztes Landstück verzichten muss, das schon Vater und Grossvater bebaut hatten oder für dessen Erwerb die Vorfahren fast den letzten Rappen hatten aufwenden müssen und über das nun in alle Zukunft fremde Menschen schreiten werden.