«Wegge spart Brot»
«Wegge spart Brot» plegte vor guten fünfzig Jahren die Bäuerin an der Sichlete zu spassen, wenn sie die herrlich duftende Züpfe auf den Tisch gab, ein Scherzwort das zu jener Zeit durchaus geläufig war und jedermann noch wusste, was unter Wegge zu verstehen sei. Für uns zwei Stall- und Hüterbuben begannen damit ein paar rotleuchtende Tage, auch wenn sie im Kalender gar nicht alle rot gedruckt erschienen. Daheim im ärmlichen Hüttli bot das teure zweifränkige Züpfli jedem der zehn Esser nur ein bescheidenes Schnäfeli und fertig war der Genuss! Beim grossen Bauer. Gemeinderat und Amtsrichter, durften selbst die Sprengbuben einhauen wie «Burkhalter in der Kinderlehre» und bekamen erst noch für den abendlichen Heimweg einen tollen Janten in den Hosensack.
Nicht dass wir etwa in der übrigen Zeit zu wenig Brot erhalten hätten. Nur «Tübeli» und «Grittibänzen» wurden für uns nicht gebacken.
Neben der unerlässlichen Arbeit im Kuhstall hatte ich mich hauptsächlich mit den Pferden zu beschäftigen, zeitig ein Ross zu schirren und die Milch in die Käserei zu bringen, mit den Gäulen zu acherieren, die ratternde Mähmaschine über die taufrischen Heuwiesen zu dirigieren; kurz alles zu tun, was ein Jungknechtlein etwa mit den Tieren bewältigen konnte. An besonderen Glückstagen durfte ich gar mit dem Bockwägeli einen Sack Korn zur Mühle fahren, Brotmehl holen und zweimal gar den Simel, das Weissmehl.
Unvergesslich bleibt mir, wie der alte Müller mir sein Gewerbe nahebringen und interessant zu machen verstand. Gleich beim ersten Mal stellte er das in der Wasserkammer koselnde Rad ab, erklärte mir den Weg des Mahlgutes von Maschine zu Maschine und lenkte erst dann erneut das Wasser auf die Schaufeln. So der Spur nach erlickte ich damals bereits den Werdegang vom Korn zum Brot und habe seither nie versäumt, jede Kundenmühle zu besichtigen, an der mich mein Lebensweg vorbeiführte.
«Lue», sagte Mülisämu, «früher wurde im Seeland und benachbarten Freiburgbiet vor allem Dinkel oder Korn angebaut, daneben Weizen und Mischelkorn, während Roggen, Gerste und Hafer bedeutend weniger Ackerläche beanspruchten. In andern Gegenden scheint der Weizen schon sehr früh an erster Stelle gestanden zu sein. Auch bei uns wird der Dinkel verschwinden, das kann ich gut aus Urgrossvaters Mülibuch prophezeien, in das er damals jeden Posten gewissenhaft eintrug.
Beim Vergleich mit der Zusammensetzung der «Zmüli», welche heute gebracht werden, wird das baldige Verschwinden des Kerns offenbar. Mein Nachfolger wird den zum Entspelzen des Dinkels bestimmten «Gang» abbrechen können, da er ihn überhaupt nicht mehr braucht. Eh weder nit wird zu jener Zeit auch der Spreuersack in der Kinderwagle verschwunden sein.›>
Damit kommen wir endlich zum Thema «Brot» und sind auf dem besten Wege zu Weggen und Züpfe. Das älteste noch erhaltene Seeländerbrot stammt aus Pfahlbauten am Bielersee. Zur Bronzezeit scheint es bei uns bereits zwei Sorten Brot gegeben zu haben, oder genau genommen drei. Hirsebrot und Weizenbrot und ein drittes, gemischt aus Hirse und Weizen. Nach der Häufigkeit des Vorkommens kann hirsehaltiges Brot eher zur Alltagsspeise gezählt werden, während das seltenere Weizenbrot vielleicht besonderen Anlässen vorbehalten war. «Die zerriebenen Getreidekörner wurden mit Wasser zu einem Teig angerührt, auf einen erhitzten Stein gelegt und mit Asche überdeckt», lesen wir bei Ischer über den Backvorgang
Pfahlbauerbrote aus der Bronzezeit dürften ein Alter von 3000 Jahren aufweisen. Der Literatur ist zu entnehmen, dass in andern Ländern schon viel früher Brot gegessen wurde.
Die Zutaten, welche unsere Altvordern dem Weizen oder Dinkel beifügten, ergaben wohl nicht immer ein Brot, wie wir es heute lieben. So wurden dem Mehl für das noch im letzten Jahrhundert bekannte «Baschibrot» Roggen, Gerste, Erbsen und Wicken beigemischt. Dass auch Hirsemehl zum Brotbacken benutzt wurde, lassen die urkundlichen Belege über die Zehntabgaben als sicher erkennen. In den Fontes rerum Bernensium wird 1266 Haferbrot erwähnt, welches wohl jahrhundertelang zum Tagesgebrauch des einfachen Mannes gehörte. Vor dem Aufkommen der Kartoffeln bildete der Hafer überhaupt das wichtigste Nahrungsmittel, welches in Form von Hafersuppe, Haferbrei oder Hafermus eine vielseitige Verwendung fand.
Schon früh treffen wir in den seeländischen Städtchen und auch in grösseren Ortschaften den berufsmässigen Brotbäcker oder Pfister an. Die Berufsbezeichnung wurde recht bald einmal zum Geschlechtsnamen. So erscheint das Geschlecht Pfister 1428 in Murten und 1558 in Kerzers.
Bevor wir unsere kleine Brotgeschichte zu Ende bringen, noch einige Worte über die Hungersnöte früherer Jahrhunderte. Missernten hatten zu jener Zeit, als es noch weder Eisenbahnen noch gute Fernstrassen gab, sofort empfindlichsten Brotmangel zur Folge, Was für die ärmere Bevölkerung gleichbedeutend war mit bitterster Hungersnot. Wollten sie am Leben bleiben, mussten sie betteln gehen von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf.
In den damals noch sehr zahlreichen kleinen Kundenmühlen baten die Bettelkinder um Mühliwüschete, welche, mit Schotte gekocht, einen nicht gerade appetitlichen aber mit Heisshunger verschlungenen nahrhaften Brei ergab. Dass man in spätem Zeiten mit Kartoffeln den Brotteig streckte, Wissen die ältern unserer Leser noch aus eigener Erfahrung. In den Hungerjahren 1846 und 1847 liessen die Gnädigen Herren von Bern mit Pferdefuhrwerken Getreide, Reis, Mais, Haferkernen, Erbsen und Bohnen an die bernischen Amtssitze führen.
Der Berner Bäckermeister Durrheim unterbreitete damals der Regierung den Vorschlag, als Sparmassnahme dem Brotmehl «entbittertes isländisches Moos» beizufügen, wie es angeblich in Island seit langem gebräuchlich sei. Die Versuche im Bernbiet aber missrieten. Wohl sah das Produkt aus wie Brot, wenn es aus dem Ofen kam. Das Innere aber War grün, wenig aufgegangen und seines grossen Fasergehaltes wegen sehr schwer verdaulich.
Bei Max Währen, dem Wohl besten Kenner der Geschichte unseres Brotes, lesen wir, dass der früher in Bühl allgemein bekannte Weggen zu Beginn der Sechzigerjahre am Verschwinden war, ebenfalls in Gampelen. Aus Müntschemier vernahm er, dass bis 1896 nur Weggen bekannt waren, bis eine aus Kerzers stammende Frau das Züpfenbacken einführte. Im Sensegebiet war der Weggen einst stark verbreitet. Er konnte bis 12 Pfund schwer werden. Heute isst man auch dort Züpfen, auf welche man, wie vielerorts auch bei uns, den Namen des Weggens übertragen hat. Der Grund für die verhältnismässig rasche Beliebtheit der Züpfe, welche doch aus dem gleichen Teig hergestellt wird, liegt wohl darin, dass sie geschmacklich und in ihrer Beschaffenheit bedeutend besser ausfällt als der Weggen und auch für das Auge ein anmächeligeres Bild bietet.
Der Volkskundler weist hier auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Zopfgebäcke. Diese waren nämlich ursprünglich ein «Haaropfer in Teigform» und als solche eine Ablösung uralt heidnischer Menschenopfer.
«U jetz sitzet ab und gryffet zue! I ha de am Züpfeteig nüt gspart und öppen alls dri to, genau wie mers ds Müeti sälig brichtet het. Es cha also nid fähle. Gsundheit, myni Liebe! Hütt gits Wegge und Wegge spart Brot»